Es geschehen noch Zeichen und Wunder, selbst in der Ampelkoalition. Kurz vor der Weihnachtspause hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) verabschiedet. Dieses setzt den Digital Services Act (DSA) der EU in nationales Recht um. Die Bundesregierung ist spät dran. Der DSA gilt vom 17. Februar 2024 an, bei der nationalen Umsetzung hofft die Ampel auf den 1. April.

Das bedeutet: Bundestag und Bundesrat werden das Tempo an den Tag legen müssen, das die Koalition vermissen ließ. Bei der „Kabinettsbefassung“, die „zugegebenermaßen nicht unnötig früh erfolgte“, habe „die Bundesregierung eine gute Entscheidung getroffen“, schreibt der Direktor der Landesmedienanstalt NRW, Tobias Schmid, dazu fast ein wenig übermütig.

Die Landesmedienanstalten mussten nämlich fürchten, dass sie aus der Rechtsaufsicht für Digitalplattformen, wie sie die Gesetze DSA und DDG formulieren, rausfliegen. Jetzt sind sie nach Paragraph 12 des DDG zuständig für „Maßnahmen nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“. Sie können mit dem weitermachen, worin sie führend sind – der Verfolgung von Gesetzesverstößen über nationale Grenzen hinweg, etwa bei Pornoanbietern. Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt wird ebenfalls fortgesetzt.

Das ist sinnvoll, wenngleich es nach dem üblichen deutschen Kompetenzgerangel aussieht: Zentrale Anlaufstelle der Gesetzesausübung wird eine neue Abteilung der Bundesnetzagentur, an die sich Internetnutzer wenden können. Sie stellt den Koordinator für Digitale Dienste (KDD) dar, den das EU-Digitalgesetz DSA fordert. Für den Schutz Minderjähriger ist die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz zuständig, solange es – siehe oben –, nicht um den Jugendmedienschutz geht. Auf datenrechtliche Belange achtet der Bundesdatenschutzbeauftragte, die Verfolgung von Straftaten liegt beim BKA.

Der Bund hat die bisherige Zuständigkeit der Länder (über die Landesmedienanstalten) also nicht kassiert, er hat sie in das System aufgenommen. Das wird in der Praxis nicht unkompliziert, zumal unklar ist, wo das Bundesamt für Justiz bleibt, das für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zuständig war, das mit Inkrafttreten des EU-Gesetzes DSA unwirksam wird.

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Doch hat der deutsche Kompetenzknoten gegenüber dem Vorgehen der EU einen Vorteil: Er wahrt Abstand von Staat und Politik. Die EU-Kommission geht dagegen über den DSA direkt an 22 große Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern heran, also etwa Amazon, Apple, Google, Facebook, Tiktok und X und auch an Pornoseiten wie Pornhub, Stripchat und X-Videos. Der Dienst Telegram bleibt (noch) außen vor. Die EU-Kommission übt sich hier – wie mit dem „Medienfreiheitsgesetz“ gegenüber der Presse – im direkten Macht-Durchgriff. Das kann schiefgehen.

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Die deutsche Netzaufsicht wird knifflig

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22.12.2023

Es geschehen noch Zeichen und Wunder, selbst in der Ampelkoalition. Kurz vor der Weihnachtspause hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) verabschiedet. Dieses setzt den Digital Services Act (DSA) der EU in nationales Recht um. Die Bundesregierung ist spät dran. Der DSA gilt vom 17. Februar 2024 an, bei der nationalen Umsetzung hofft die Ampel auf den 1. April.

Das bedeutet: Bundestag und Bundesrat werden das Tempo an den Tag legen müssen, das die Koalition vermissen ließ. Bei der „Kabinettsbefassung“, die „zugegebenermaßen nicht unnötig früh erfolgte“, habe „die Bundesregierung eine gute Entscheidung getroffen“, schreibt der Direktor der Landesmedienanstalt NRW, Tobias Schmid, dazu fast ein........

© Frankfurter Allgemeine


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