Ein wenig Hü, ein wenig Hott, aber dann doch einen beachtlichen Schritt in die bessere Richtung geht der Berliner „Tagesspiegel“. Die Zeitung stellt das Gendern mitten im Wort mit Sternchen oder Doppelpunkten nämlich ein, wie der Chefredakteur Christian Tretbar in der „Jubiläumsausgabe“ des Blattes verkündet, in der die Redaktion auf allerlei Umstellungen zurück- und nach vorn blickt.

Man habe sich in der „Verwendung genderneutraler Sprache“ versucht, schreibt der Chefredakteur gewunden. Nun wolle man „bis auf Weiteres auf die Verwendung von Gendersternen und Doppelpunkten“ in der gedruckten Zeitung und im E-Paper verzichten. Ausnahmen bildeten Gastbeiträge, Antworten in Interviews, zu übernehmende Zitate, „unsere Queerspiegel-Texte“ und „Texte, in denen es um die Verwendung und Veränderung von Sprache geht“.

Das sind ganz schön viele Ausnahmen. Sie zeigen, dass der von der „Bild“-Zeitung beim „Tagesspiegel“ ausgemachte Rückzugsbefehl in Sachen Gendern so eindeutig nicht ist, zumal online offenbar weiterhin gegendert wird. Wobei die Beispiele, die der Chefredakteur Tretbar aufruft, nicht nur Zeitungen betreffen, die von sich aus gendern, sondern alle. Wenn Gesprächspartner unbedingt gendern wollen, heißt es Kompromisse machen oder auf Wortbeiträge verzichten.

Wir dürfen freilich annehmen, dass Leser und vor allem Abonnenten dem „Tagesspiegel“, der drei Jahre lang herumgenderte, schon so richtig auf die Pelle gerückt sind, wenn die Zeitung mitteilt, man sei „sehr deutlich“ darum gebeten worden, auf die Sonderzeichen zu verzichten. Die Ablehnung der Gendersprache ist gewaltig, bis zu 80 Prozent der Menschen in diesem Land halten davon nichts, wie eine Umfrage des WDR ergab. Und trotzdem wird sie einem von allen Seiten aufgedrängt oder aufgezwungen, von der Politik, der Verwaltung, an der Universität und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Dass der Umerziehungsversuch, der die Sprache zerstückelt und durch Geschlechterbetonung sexualisiert, zu Abgrenzung, Entfremdung und zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt, dürften inzwischen selbst Befürworter der „genderneutralen“ Ausdrucksweise zur Kenntnis genommen haben. In der Politik, an Hochschulen und Schulen ist der Sprachkampf voll im Gange, bei einer Zeitung wie dem „Tagesspiegel“ entscheiden ihn die Abonnenten – und Abonnentinnen.

Man sei darum gebeten worden, schreibt der Chefredakteur Tretbar, „andere Formen der genderneutralen Sprache zu verwenden als den Genderstern oder den Doppelpunkt“. Deshalb habe man die Sprachrichtlinie angepasst. „Andere Formen“? Mit Doppelnennungen der männlichen und der weiblichen Form ist zu rechnen. Von „Paarformen“ ist beim „Tagesspiegel“ die Rede (Künstlerinnen und Künstler) und angeblich geschlechtsneutral „Studierende“ gibt es selbstverständlich ebenfalls, nicht „Studenten“. Abgesehen davon sind die Sternzeichen ja auch nur „bis auf Weiteres“ ausgesetzt.

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QOSHE - Sternzeichen - Michael Hanfeld
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Sternzeichen

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30.11.2023

Ein wenig Hü, ein wenig Hott, aber dann doch einen beachtlichen Schritt in die bessere Richtung geht der Berliner „Tagesspiegel“. Die Zeitung stellt das Gendern mitten im Wort mit Sternchen oder Doppelpunkten nämlich ein, wie der Chefredakteur Christian Tretbar in der „Jubiläumsausgabe“ des Blattes verkündet, in der die Redaktion auf allerlei Umstellungen zurück- und nach vorn blickt.

Man habe sich in der „Verwendung genderneutraler Sprache“ versucht, schreibt der Chefredakteur gewunden. Nun wolle man „bis auf Weiteres auf die Verwendung von Gendersternen und Doppelpunkten“ in der gedruckten Zeitung und im E-Paper verzichten. Ausnahmen bildeten Gastbeiträge, Antworten in Interviews, zu übernehmende Zitate, „unsere Queerspiegel-Texte“ und „Texte, in denen es um die Verwendung und Veränderung von Sprache geht“.

Das sind ganz........

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