Europas Presse steht jetzt unter Aufsicht. So bestimmt es das sogenannte Medienfreiheitsgesetz, auf das sich das Europäische Parlament und Vertreter der EU-Staaten geeinigt haben. Was das Gesetz genau besagt, werden wir erst in einigen Wochen erfahren. Zu den Eigentümlichkeiten europäischer Gesetzgebung gehört nämlich, dass sie nach dem Motto „Habemus Lex“ jubelnd ausgerufen und von Politikern als bahnbrechend bezeichnet wird, man aber das Kleingedruckte, auf das es ankommt, noch gar nicht kennt.

So viel ist indes sicher: Die Europäische Union richtet eine Behörde ein, deren Aufsicht sämtliche Medien und Pressehäuser in der EU unterliegen. Diese Behörde soll dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten nicht zu großen Einfluss auf die Medienlandschaft nehmen, nicht auf öffentliche Sender und nicht auf private Medienhäuser. Direkter politischer Einfluss soll unterbunden werden, staatliche Zuwendungen, auch durch Werbung, sollen transparent gestaltet, Journalisten und Informanten vor Ausspähung geschützt sein. Das zielt auf Verhältnisse, wie wir sie in Ungarn oder Polen gewärtigen, auf Italien oder Frankreich, trifft aber alle Mitgliedstaaten.

Für Deutschland bedeutet das die Aufgabe der Zuständigkeit der Bundesländer und eine staatliche Aufsicht, welche die hiesige Mediengesetzgebung tunlichst vermeidet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk beruht auf Staatsverträgen der Bundesländer, strebt aber danach, „staatsfern“ zu agieren. Die unabhängige Presse ist dem Grundgesetz, der allgemeinen Gesetzgebung und dem Presserecht unterworfen und verfügt mit dem Presserat über ein Instrument der Selbstregulierung. Das alles wird mit dem Medienfreiheitsgesetz kassiert.

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In Streitfällen, die der Europäischen Medienaufsicht vorgetragen werden, haben künftig nicht mehr Intendanten oder Rundfunkräte das Sagen oder Verleger, sondern EU-Bürokraten. Insbesondere Verleger werden entrechtet, heißt es im Medienfreiheitsgesetz doch, Journalisten sollten vollkommen unabhängig in ihrer Arbeit sein. Auch das zielt erkennbar auf Ungarn oder Polen, treffen aber wird es alle. Und wie wir die EU kennen, lässt sie ihre Muskeln nur dort spielen, wo die rechtsstaatlichen Verhältnisse in Ordnung sind. Viktor Orbán, da gehen wir jede Wette ein, wird sich bei seiner Zerstörung der EU von innen nicht beirren lassen und keinen Deut um das Gesetz scheren. Und die EU, die nicht in der Lage ist, Orbáns Unterstützung für Putins Vernichtungskrieg in der Ukraine zu konterkarieren, wird nichts tun.

Wie großsprecherisch, in Wahrheit aber klein mit Hut die EU ist, kann man schon jetzt am Artikel 17 des neuen Gesetzes erkennen. Der billigt den großen Digitalplattformen nämlich das Recht zu, mit den Medieninhalten, die sie transportieren, so zu verfahren, wie es ihnen gefällt. Bei „anerkannten“ Medien müssen sie wenigstens kundtun, warum sie etwas löschen. Die Digitalgiganten erhalten also das Verlegerrecht, das es in Verlagen künftig nicht mehr gibt. Kein Wunder, dass die Verbände von einem schwarzen Tag für die Pressefreiheit reden.

QOSHE - Unter Aufsicht - Michael Hanfeld
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Unter Aufsicht

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17.12.2023

Europas Presse steht jetzt unter Aufsicht. So bestimmt es das sogenannte Medienfreiheitsgesetz, auf das sich das Europäische Parlament und Vertreter der EU-Staaten geeinigt haben. Was das Gesetz genau besagt, werden wir erst in einigen Wochen erfahren. Zu den Eigentümlichkeiten europäischer Gesetzgebung gehört nämlich, dass sie nach dem Motto „Habemus Lex“ jubelnd ausgerufen und von Politikern als bahnbrechend bezeichnet wird, man aber das Kleingedruckte, auf das es ankommt, noch gar nicht kennt.

So viel ist indes sicher: Die Europäische Union richtet eine Behörde ein, deren Aufsicht sämtliche Medien und Pressehäuser in der EU unterliegen. Diese Behörde soll dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten nicht zu großen Einfluss auf die Medienlandschaft nehmen, nicht auf öffentliche Sender und nicht auf........

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