Eine der hohlsten Phrasen, die Politiker dieser Tage von sich geben und die man wirklich nicht mehr hören kann, lautet: Der Antisemitismus hat bei uns keinen Platz. Das Gegenteil ist richtig. Wie viel Platz er einnimmt, kann man nicht nur bei propalästinensischen Kundgebungen erkennen. Er wird in Berlin auf der Straße zelebriert, wie man in Neukölln sehen konnte, wo Mitglieder der linksislamistischen Organisation Samidoun nach dem Massaker an israelischen Zivilisten vom 7. Oktober Süßigkeiten verteilten.

Die Zahl antisemitischer Übergriffe ist sprunghaft angestiegen. Die Polizei sei aufgefordert, diese zu ahnden, hören wir von Politikern. Der Rechtsstaat soll sich wehrhaft zeigen.

In Berlin hat die Polizei allerdings ein anderes Zeichen gesetzt. Beamte haben am vergangenen Donnerstag in Friedrichshain Plakate entfernt, die von der Hamas entführte Israelis zeigen. Künstler aus New York haben sie entworfen, um auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen, sie werden weltweit ausgehängt.

Es bestehe der „Verdacht der unberechtigten Plakatierung“, lautet die Begründung der Polizeiaktion, es könne sich um einen Verstoß gegen das Presserecht (kein Impressum) und Sachbeschädigung handeln. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin prüft. Auf das Ergebnis sind wir gespannt.

Die Polizeipräsidentin Barbara Slowik teilte mit, sie könne „absolut nachempfinden, dass durch das Abnehmen der Plakate Gefühle, insbesondere von Angehörigen und Freunden der Geiseln, sowie der Menschen der israelisch/jüdischen Community verletzt wurden“. „Die Wirkung des Handelns“ könne für Angehörige schmerzlich und furchtbar sein, und das bedauere sie „von ganzem Herzen“, ergänzt Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“, doch sei es die „Aufgabe der Polizei, für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sorgen und den gesellschaftlichen Frieden zu schützen“. In diesem Sinne hätten sich „die Einsatzkräfte der Polizei Berlin für die Entfernung der Plakate entschieden“. Dies ändere „nichts daran, dass der Schutz jüdischen und israelischen Lebens absolute Priorität hat“.

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Wie sieht der Schutz jüdischen Lebens aus?

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01.11.2023

Eine der hohlsten Phrasen, die Politiker dieser Tage von sich geben und die man wirklich nicht mehr hören kann, lautet: Der Antisemitismus hat bei uns keinen Platz. Das Gegenteil ist richtig. Wie viel Platz er einnimmt, kann man nicht nur bei propalästinensischen Kundgebungen erkennen. Er wird in Berlin auf der Straße zelebriert, wie man in Neukölln sehen konnte, wo Mitglieder der linksislamistischen Organisation Samidoun nach dem Massaker an israelischen Zivilisten vom 7. Oktober Süßigkeiten verteilten.

Die Zahl antisemitischer Übergriffe ist sprunghaft angestiegen. Die Polizei sei aufgefordert, diese zu ahnden, hören wir von Politikern. Der Rechtsstaat soll sich wehrhaft........

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