Die Mehrheit war deutlich, die Botschaft auch: Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat sich mit 131 gegen 29 Stimmen für eine Aufnahme des Kosovos ausgesprochen. Das letzte Wort war die Abstimmung in Straßburg freilich noch nicht. Das haben die Außenminister der Mitgliedstaaten des Europarates, die Mitte Mai zusammenkommen werden, um dann auch über den kosovarischen Beitrittsantrag zu entscheiden.

Die Empfehlung der Parlamentarier ist allerdings eindeutig. Die Regierung in Prishtina hat bewiesen, dass sie die Bedingungen, die mit einer Mitgliedschaft in Europas ältestem Klub von Demokratien einhergehen, erfüllen kann und will. Diese Bereitschaft wurde vom Europarat honoriert. Dass der seit mehr als einem Jahrzehnt schwelende Konflikt um den Landbesitz des zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Klosters Visoki Dečani in diesem Jahr zugunsten der orthodoxen Mönche gelöst wurde, wäre ohne den Druck des Europarats nicht geschehen. Zudem gibt es die berechtigte Erwartung, dass eine Mitgliedschaft des Kosovos im Europarat zur Stabilisierung des Westbalkans beitragen wird.

Die Vorteile sind offenkundig: Käme das Kosovo in den Europarat, hätten alle Bürger von Europas jüngstem Staat Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo sie ihre eigene Regierung verklagen könnten. Das ist insbesondere für die serbische Minderheit im Kosovo bei der Wahrung ihrer Rechte wichtig. Es ist ein gutes Zeichen, dass die kosovarische Regierung sich der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs unterwerfen will. Viele Konflikte der vergangenen Jahre, insbesondere im latent unruhigen Norden des Landes, hätten womöglich vermieden oder zumindest rechtzeitig entschärft werden können, hätte es diese Möglichkeit schon früher gegeben.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hat verstanden, dass das Kosovo derzeit Rückenwind hat. Er versucht deshalb mit allen Mitteln, Einfluss auf europäische Staaten zu nehmen, um die im Mai anstehende Abstimmung wenigstens zu verschieben. Dass er ausgerechnet jetzt nach Paris gereist ist, um französische Kampfjets für mehrere Milliarden Euro zu bestellen, ist kein Zufall. Auch darf angenommen werden, dass sein treuer Verbündeter Viktor Orbán versucht, als ungarischer Ministerpräsident Einfluss auf Italien zu nehmen. Die Äußerungen einiger italienischer Parlamentarier im Europarat deuten zumindest darauf hin. Dem Vernehmen nach gibt es sogar im Berliner Kanzleramt Köpfe, die auf Vučićs Selbstdarstellung hereinfallen, er allein könne Stabilität auf dem Balkan garantieren.

Man muss schon engagiert wegsehen, um nicht zu bemerken, wie sehr Belgrads Politik in Wirklichkeit das Gegenteil von Stabilität bewirkt. Denn die jüngste Masche in Belgrad ist eigentlich recht leicht zu durchschauen: Serbien versucht, eine Mehrheit für die Haltung zu erreichen, dass Prishtina zunächst der Bildung eines Verbunds serbischer Gemeinden zustimmen muss, bevor es in den Europarat aufgenommen werden könne. Zugleich blockiert es aber die Bildung ebendieses Verbunds systematisch, zuletzt durch die Ankündigung des Boykottes von Neuwahlen in vier serbischen Gemeinden im Norden des Kosovos. Mit anderen Worten: Serbien will, dass dem Kosovo eine Vorbedingung auferlegt wird, an deren Unerfüllbarkeit es zugleich arbeitet.

Obwohl ihr Land das Kosovo nicht anerkennt, hat sich Griechenlands ehemalige Außenministerin Dora Bakogiannis, die diesen Trick durchschaut, gegen ein solches Junktim ausgesprochen. Bakogiannis, die Kosovo-Berichterstatterin des Europarats, plädiert vielmehr dafür, die Bildung des serbischen Gemeindeverbundes nach einem Beitritt unter Aufsicht des Europarats und dessen Menschenrechtsgerichtshofs voranzutreiben.

Doch einige Regierungen scheinen noch zu schwanken, ob sie dem kosovarischen Beitrittsantrag wirklich zustimmen wollen. Dem scheint zumindest in einigen westlichen Hauptstädten ein alter Irrglaube zugrunde zu liegen, der schon einmal für Unheil gesorgt hat: die Ansicht, dass Serbien als vergleichsweise größter der kleinen Staaten des Westbalkans der entscheidende Stabilitätsfaktor in der Region sei, den man unbedingt beschwichtigen müsse.

Dass Belgrad der Schlüssel zur regionalen Stabilität sei, haben die westlichen Staatsführer auch in den Neunzigerjahren zur Herrschaftszeit des serbischen Autokraten Slobodan Milošević lange geglaubt. Das Ergebnis ist bekannt: Hunderttausende Tote, der Völkermord von Srebrenica und andere Massaker, sowie am Ende die Intervention der NATO.

Sollte man heute, wo Serbien von Milošević ehemaligem Propagandaminister Vučić geführt wird, den gleichen Fehler wie damals machen? Es wäre ein Unglück für die Region, sollte sie nach dreißig Jahren schon wieder Opfer der gleichen Fehler werden.

QOSHE - Der Westen darf nicht auf Serbien hereinfallen - Michael Martens
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Der Westen darf nicht auf Serbien hereinfallen

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17.04.2024

Die Mehrheit war deutlich, die Botschaft auch: Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat sich mit 131 gegen 29 Stimmen für eine Aufnahme des Kosovos ausgesprochen. Das letzte Wort war die Abstimmung in Straßburg freilich noch nicht. Das haben die Außenminister der Mitgliedstaaten des Europarates, die Mitte Mai zusammenkommen werden, um dann auch über den kosovarischen Beitrittsantrag zu entscheiden.

Die Empfehlung der Parlamentarier ist allerdings eindeutig. Die Regierung in Prishtina hat bewiesen, dass sie die Bedingungen, die mit einer Mitgliedschaft in Europas ältestem Klub von Demokratien einhergehen, erfüllen kann und will. Diese Bereitschaft wurde vom Europarat honoriert. Dass der seit mehr als einem Jahrzehnt schwelende Konflikt um den Landbesitz des zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Klosters Visoki Dečani in diesem Jahr zugunsten der orthodoxen Mönche gelöst wurde, wäre ohne den Druck des Europarats nicht geschehen. Zudem gibt es die berechtigte Erwartung, dass eine Mitgliedschaft des Kosovos im Europarat zur Stabilisierung des Westbalkans beitragen wird.

Die Vorteile sind offenkundig: Käme das Kosovo in den Europarat, hätten alle........

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