Eine Debatte, die wir bald auch in Deutschland führen: Die Sozialdemokraten in Zürich fordern in diesen Tagen „diversitätsbewusste und geschlechtergerechte“ Verkehrszeichen. Das ist kein Scherz. Schilder bestimmen und prägen den öffentlichen Raum. Jetzt, wo die Sozialwissenschaften die Biologie in den Senkel gestellt und nachgewiesen haben, dass es nicht nur zwei biologische Geschlechter gibt, sondern 78, brauchen wir mehr Vielfalt auch und gerade bei den Verkehrszeichen. Dass da an einer T-Kreuzung der Weg binär entweder nach links oder nach rechts gewiesen wird, ist überholter Dogmatismus. Schließlich wussten schon die alten Griechen, dass alle Wege nach Rom führen.

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Mehr Diversitätsbewusstsein verdient auch die große Gruppe der Autofahrer mit einem abweichenden Geschwindigkeitserleben. Solche vulnerablen Menschen werden in der Öffentlichkeit als „Raser“ stigmatisiert, von der Justiz kriminalisiert und damit in die soziale Isolation gedrängt. Dabei ist es mittlerweile Stand der Forschung, dass es wie beim Geschlecht auch bei der Geschwindigkeit große Ambiguitäten gibt. Man kann auf der Autobahn gefühlt 120 km/h fahren, selbst wenn der Tacho 220 anzeigt. Etwa mit dem Mercedes AMG S 63 E Performance und seinen beruhigenden 802 PS. Geht es ums Tempo, muss den Gefühlen des Einzelnen Vorfahrt vor einer überholten Faktenhuberei der Blitzer-Anlagen gewährt werden! Alles andere ist schlichtweg tempophob.

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Als tintophob hingegen darf man den Kampf von Druckerhersteller HP gegen die Anbieter von Billigtinten bezeichnen. Von wegen Diversität bei der Tinte! HP versucht seit vielen Jahren, Patronen günstiger Anbieter von seinen Druckern fernzuhalten. Das erfolgt mit heimlichen Firmware-Updates. Der Aufschrei unter den Nutzern und die mediale Aufmerksamkeit sind groß. Kunden haben erfolgreich Dutzende von Sammelklagen eingereicht und Schadensersatzzahlungen in Millionen­höhe erstritten. Das hält HP jedoch nicht davon ab, immer wieder mit Updates die Diversität und bunte Regenbogenvielfalt der Drittanbieter im Sinne eines Monopols teurer Tinten niederzumetzeln. Nun hat sich in der vergangenen Woche HP-Chef Enrique Lores persönlich eingeschaltet: In einem Interview sagte er, in den Tintenpatronen der Drittanbieter lauere der Virus. Und der kämpfe sich über die Tintenkartusche in den Drucker vor. Vermutlich tröpfchenweise, Bit für Bit. So gesehen könnten diversitätsbewusste Leiterbahnen die Verkehrsschilder ins Verderben sein.

QOSHE - Todesbrut in Kartuschen - Michael Spehr
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Todesbrut in Kartuschen

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28.01.2024

Eine Debatte, die wir bald auch in Deutschland führen: Die Sozialdemokraten in Zürich fordern in diesen Tagen „diversitätsbewusste und geschlechtergerechte“ Verkehrszeichen. Das ist kein Scherz. Schilder bestimmen und prägen den öffentlichen Raum. Jetzt, wo die Sozialwissenschaften die Biologie in den Senkel gestellt und nachgewiesen haben, dass es nicht nur zwei biologische Geschlechter gibt, sondern 78, brauchen wir mehr Vielfalt auch und gerade bei den Verkehrszeichen. Dass da an einer T-Kreuzung der Weg binär entweder nach links oder nach rechts gewiesen wird, ist überholter Dogmatismus. Schließlich wussten........

© Frankfurter Allgemeine


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