Die deutsch-französische Freundschaft droht am ­Ukrainekrieg zu zerbrechen. Diesen Eindruck vermitteln derzeit Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron. In Rekordzeit haben sie die Hoffnung zerstört, sie könnten über alle Gegensätze hinweg ein solides Gespann für Europa in Zeiten größtmöglicher Bedrohung bilden. Schon lange ist bekannt, dass zwischen dem wortkargen Bundeskanzler und dem redseligen Präsidenten die Chemie nicht stimmt. Ihr Verhältnis hat im Streit über Bodentruppen und Taurus-Verweigerung einen neuen Tiefpunkt erreicht, der Europas Zusammenhalt belastet.

Das Problem liegt tiefer als die leichtfertige Antwort des Präsidenten auf eine Journalistenfrage zu später Stunde. Macron bekundete, im Kampf gegen den russischen Imperialismus für Frankreich fortan „nichts auszuschließen“, auch nicht die Entsendung von Bodentruppen. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte einer unabhängigen Atommacht kann Macron diese Form verbaler Abschreckung pflegen. Macron geht damit zur strategischen Ambiguität über, die den Gegner im Unklaren lässt, welche Reaktionen er befürchten muss. Es steht auf einem anderen Blatt, dass dies ohne Rückversicherung mit den Verbündeten nicht geschickt und wenig glaubwürdig ist. Zum Säbelrasseln braucht es eine scharfe Klinge.

Aber das rechtfertigt nicht, wie rücksichtslos Scholz seither Macron vorführt. Obwohl der Präsident zu keinem Zeitpunkt von anderen verlangt hat, es ihm gleichzutun oder gar Soldaten auf ukrainischen Boden zu entsenden, erweckt der Bundeskanzler unermüdlich diesen Eindruck. Damit befördert er eine irreführende Wahrnehmung Macrons. Ein Kriegstreiber, der leichtfertig Kampftruppen entsenden würde, ist der ungediente Staatschef nicht. Anders als seine beiden Vorgänger im Élysée in Libyen und Mali hat er keinen neuen Auslandseinsatz angeordnet, sondern die Soldaten aus dem Sahel-Gebiet abgezogen.

Die deutsch-französischen Beziehungen waren nie frei von Streit und Neid. Aber selten haben ein Bundeskanzler und ein Präsident so erbittert um den Führungsanspruch in Europa gekämpft, anstatt gemeinsam voranzugehen. Im Kern der Auseinandersetzung steht die Frage, wie die Aggressivität Putins am besten eingehegt werden kann. Macron setzt fortan auf Abschreckung, Scholz weiter auf Zurückhaltung. Macron will die ­Ukraine schnellstens in die NATO aufnehmen, Scholz lieber abwarten. Frankreich rückt damit näher an die baltischen Staaten und Polen, die schon lange bezweifeln, dass man Putin mit roten Linien bezwingen kann.

Macrons Überlegungen hätten in Berlin mehr Beachtung verdient. Ist es die beste Strategie zur Eindämmung Putins, diesem wie in einem offenen Buch Auskunft über Rüstungsbestände und die roten Linien der europäischen Unterstützung zu geben? Macron ist zu der Überzeugung gelangt, dass Putin immer aggressiver wird. Französische Kampfflugzeuge, die im internationalen Flugraum über dem Schwarzen Meer patrouillierten, wurden kürzlich mit russischen Abschussdrohungen konfrontiert.

Der Vorfall hat einen semantischen Wechsel beschleunigt. Macron sieht künftig die militärische Niederlage Putins als notwendig an, um Europas Sicherheit zu garantieren. Seine Glaubwürdigkeit leidet vor allem darunter, dass die französischen Waffenlieferungen an die Ukraine weit hinter denen Deutschlands und Großbritanniens zurückbleiben. Macrons Handlungsspielraum wird von einer Schuldenlast eingeschränkt, die sich auf mehr als drei Billionen Euro beläuft. Deshalb hofft Macron so sehr auf europäische Anleihen für die Verteidigungsausgaben.

Der Präsident verfolgt wie Scholz das Ziel, nicht Kriegspartei zu werden. Aber im kollektiven Gedächtnis Frankreichs hat sich eingebrannt, dass die Sehnsucht nach Frieden nicht reicht, um nicht in einen Krieg hineingezogen zu werden. Die traumatische Erfahrung des deutschen Überfalls 1940 nach Jahren verzweifelter Friedensvermittlungen wird durch aktuelle Bucherscheinungen wachgehalten. Zuletzt bilanzierte der langjährige Botschafter in den USA Gérard Araud in seinem Buch „Wir waren allein“ das Scheitern der Friedensbemühungen.

Viel zu oft wird in Berlin übersehen, dass das NATO-Gründungsmitglied Frankreich auch auf das Schutzversprechen des transatlantischen Bündnisses vertraut. Die Gelassenheit, mit der Paris auf die nuklearen Drohungen Putins reagiert, gründet nicht allein auf dem eigenen Atomwaffenarsenal. Die Geschichte der sowjetischen Atommacht wird viel stärker gepflegt als in Deutschland. Derzeit erzählt man sich in Pariser Salons gern, wie Präsident Charles de Gaulle ungerührt auf die Drohung des sowjetischen Botschafters reagierte, im Streit um Berlin 1963 Paris mit einer Atombombe auszulöschen. „Nun gut, Herr Botschafter, dann sterben wir gemeinsam!“, soll der Staatsgründer trocken erwidert haben.

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Höchste Zeit für Versöhnung

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04.03.2024

Die deutsch-französische Freundschaft droht am ­Ukrainekrieg zu zerbrechen. Diesen Eindruck vermitteln derzeit Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron. In Rekordzeit haben sie die Hoffnung zerstört, sie könnten über alle Gegensätze hinweg ein solides Gespann für Europa in Zeiten größtmöglicher Bedrohung bilden. Schon lange ist bekannt, dass zwischen dem wortkargen Bundeskanzler und dem redseligen Präsidenten die Chemie nicht stimmt. Ihr Verhältnis hat im Streit über Bodentruppen und Taurus-Verweigerung einen neuen Tiefpunkt erreicht, der Europas Zusammenhalt belastet.

Das Problem liegt tiefer als die leichtfertige Antwort des Präsidenten auf eine Journalistenfrage zu später Stunde. Macron bekundete, im Kampf gegen den russischen Imperialismus für Frankreich fortan „nichts auszuschließen“, auch nicht die Entsendung von Bodentruppen. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte einer unabhängigen Atommacht kann Macron diese Form verbaler Abschreckung pflegen. Macron geht damit zur strategischen Ambiguität über, die den Gegner im Unklaren lässt, welche Reaktionen er befürchten muss. Es steht auf einem anderen Blatt, dass dies ohne Rückversicherung mit den Verbündeten nicht geschickt und wenig glaubwürdig ist. Zum Säbelrasseln braucht es eine scharfe Klinge.

Aber das rechtfertigt nicht, wie rücksichtslos Scholz seither Macron........

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