Auf den ersten Blick waren die vergangenen Tage gut für den Westen und schlecht für seine Widersacher. Iran konnte mit seinem völlig unverhältnismäßigen Angriff auf Israel keinen größeren Schaden anrichten. Als es darauf ankam, war sogar eine israelisch-arabische Allianz gegen Teheran zu sehen. Das zeigt, dass der Krieg in Gaza die jüngere diplomatische Dynamik des Nahen Ostens weniger beschädigt hat, als die hitzigen Debatten über ­Israels Vorgehen oft nahelegen.

Die „Abrahams Accords“, die eine Aussöhnung Israels mit immer mehr arabischen Staaten zum Ziel haben, haben bisher gehalten. Sie werden gerade für die Golfstaaten nicht an Attraktivität verlieren, solange Iran eine Bedrohung für die gesamte Region darstellt. Dass Saudi-Arabien seine grundsätzliche Bereitschaft zum Abschluss eines Vertrags mit ­Israel nicht zurückgezogen hat, spricht Bände.

Einen Rückschlag musste auch Russland hinnehmen, weil das neue amerikanische Waffenpaket es dem Kreml schwer machen wird, in absehbarer Zeit einen Durchbruch in der Ukraine zu erreichen. Wenn im Sommer auch wieder mehr Munition aus Europa kommt, dann rücken Putins Ziele in noch weitere Ferne. Zumindest mit konventionellen Mitteln wird er das Nachbarland fürs Erste wohl nicht erobern können.

Dass das schon reicht, um ihn an den vielzitierten Verhandlungstisch zu zwingen, ist fraglich. Putin hat sein Schicksal mit dem Ausgang des Krieges verknüpft, politisch wie persönlich. Die Frage, wer oder was ihn am Ende zum Aufgeben bringen könnte, blieb in der westlichen Strategie schon immer offen. Trotzdem ist es ein Fortschritt, dass die Ukraine die Aussicht hat, die Front zu halten. Dann spielt die Zeit nicht mehr nur für Russland.

Die beiden Vorgänge zeigen allerdings anschaulich, wie sehr sich der Einsatz in der Weltpolitik erhöht hat. In den vergangenen Jahren musste der Westen nie bei der Abwehr eines solch massiven Luftschlags gegen einen Verbündeten helfen wie jetzt im Fall Israels. Militäreinsätze haben die NATO und ihre Mitglieder immer wieder geführt. Aber da ging es meist um terroristische oder gar nichtmilitärische Bedrohungen wie Migration. Jetzt hatte man es mit einem konventionellen Angriff eines hochgerüsteten staatlichen Akteurs zu tun.

Auch die Waffenhilfe für die Ukraine treibt westliche Gesellschaften an neue politische und finanzielle Grenzen. In Afghanistan reichte es in den Achtzigerjahren aus, alte Repetiergewehre und Fliegerfäuste an den Widerstand zu liefern, um die sowjetische Besatzung zu schwächen; das Ganze war im Wesentlichen eine Geheimdienstoperation.

Heute geht es um militärisches Großgerät, und der offen ausgetragene Konflikt wird begleitet von nuklearen Drohungen. Der innenpolitische Streit, der darüber im amerikanischen Kongress ausgetragen wurde, zeigt, wie schwer es heute selbst der westlichen Führungsmacht fällt, den politischen Willen für so eine scharfe strategische Auseinandersetzung aufzubringen. Dass es doch noch einmal gelungen ist, sollte man gerade in Europa nicht als Ewigkeitsgarantie für amerikanischen Beistand missverstehen.

Was die Ukrainehilfe betrifft, hat Deutschland inzwischen weniger Nachholbedarf als andere (große) europäische Nationen. Aber zwei Jahre nach der „Zeitenwende“ sind in Berlin noch lange nicht alle Weichen neu gestellt. Im buchstäblichen Sinne müssen sich die steigenden geopolitischen Kosten dauerhaft im Haushalt abbilden.

Wer auch immer in der Regierung sein wird, wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr im Jahr 2027 aufgebraucht ist, wird nicht auf einen Schlag die Milliardenlücke schließen können, die dann zwischen dem regulären Verteidigungsetat und dem Zwei-Prozent-Ziel der NATO klafft. Schon jetzt sollte mit dem Umbau des Haushalts begonnen werden. Die Bundeswehr muss nicht für ein paar Jahre, sondern wieder auf Jahrzehnte ertüchtigt werden. Die alte „regelbasierte“ Welt, in Wirklichkeit eine Welt westlich-amerikanischer Dominanz, kehrt nicht zurück.

Dass die Bundesregierung auch die diplomatische Wende noch nicht wirklich vollzogen hat, zeigt die jüngste Chinareise des Kanzlers. Ohne Peking hätte Putin in der Ukraine vielleicht schon verloren. Die chinesischen Öl- und Gaskäufe und die Hilfe für die russische Rüstungsindustrie haben die Wirkung der westlichen Sanktionen geschmälert. Darüber hat Scholz angeblich mit Xi Jinping geredet. Weil er aber in alter Manier eine große Wirtschaftsdelegation dabei hatte, entstand für China wenig Anreiz, die Haltung in der Ukrainefrage zu ändern.

Die Achse Moskau-Peking-Teheran nutzt die beiden aktuellen Brennpunkte der Weltpolitik zu einer kühl kalkulierten Kraftprobe mit dem Westen. Deshalb geht es nicht nur um die Ukraine und Nahost. Ein Zurückweichen hätte Folgen weit darüber hinaus.

QOSHE - Der Einsatz des Westens steigt - Nikolas Busse
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Der Einsatz des Westens steigt

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24.04.2024

Auf den ersten Blick waren die vergangenen Tage gut für den Westen und schlecht für seine Widersacher. Iran konnte mit seinem völlig unverhältnismäßigen Angriff auf Israel keinen größeren Schaden anrichten. Als es darauf ankam, war sogar eine israelisch-arabische Allianz gegen Teheran zu sehen. Das zeigt, dass der Krieg in Gaza die jüngere diplomatische Dynamik des Nahen Ostens weniger beschädigt hat, als die hitzigen Debatten über ­Israels Vorgehen oft nahelegen.

Die „Abrahams Accords“, die eine Aussöhnung Israels mit immer mehr arabischen Staaten zum Ziel haben, haben bisher gehalten. Sie werden gerade für die Golfstaaten nicht an Attraktivität verlieren, solange Iran eine Bedrohung für die gesamte Region darstellt. Dass Saudi-Arabien seine grundsätzliche Bereitschaft zum Abschluss eines Vertrags mit ­Israel nicht zurückgezogen hat, spricht Bände.

Einen Rückschlag musste auch Russland hinnehmen, weil das neue amerikanische Waffenpaket es dem Kreml schwer machen wird, in absehbarer Zeit einen Durchbruch in der Ukraine zu erreichen. Wenn im Sommer auch wieder mehr Munition aus Europa kommt, dann rücken Putins Ziele in noch weitere........

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