Die Universitätsbuchhandlung hat die Schriften der Ernst-Robert-Curtius-Preisträger verramscht, der Schreibwarenhändler musste den Insolvenzantrag unterschreiben, und die Spielzeugeisenbahn, die in der Adventszeit im Schaufenster ihre Runden drehte, ist für immer ins Depot eingefahren. Falls auch noch der Kaufhof dichtmachen muss, wird sich die Bonner Innenstadt endgültig in eine Geisterstadt verwandeln. Zwischen ausgetrockneten Spring­brunnen und unbepflanzten Blu­menkübeln spuken Behaglichkeit und Behäbigkeit, die Wohllebensgeister einer Stadt der Rentiers, die schon im neunzehnten Jahrhundert von ei­nem Wohlstand lebte, der in größeren und hässlicheren Städten rheinabwärts erwirtschaftet worden war.

Der Schrecken des Leerstands hält die Lokalpolitiker voll im Griff. In panischer Einmütigkeit hat die Bezirksvertretung Bonn jetzt dafür gesorgt, dass zwei Luxusmarkenartikel im Innenstadtgebiet verbleiben, die Skulpturen „Hommage an Beethoven“ von Markus Lüpertz und „Mean Average“ von Tony Cragg, die ein in Bonn ansässiger Verein vor zehn Jahren im Stadtgarten nahe dem Rheinufer und auf dem Remigiusplatz zwischen Markt und Münsterplatz aufgestellt hat. Die für Kunst im öffentlichen Raum zuständige Kunstkommission hatte empfohlen, die Leihverträge für die Werke der Starkünstler im wohlgepolsterten Rentenalter nicht zu verlängern. Erst im September 2021 war die Kommission eingerichtet worden. Das Vorgängergremium war auseinandergefallen, weil die sachkundigen Mitglieder über den Einfluss des Vereins auf die städtische Kunstpolitik unglücklich waren.

Soll auch die neue Kommission, in der Stephan Berg, Gregor Jansen und Eva Kraus sitzen, die Direktoren des Bonner Kunstmuseums und der Düsseldorfer Kunsthalle sowie die Intendantin der Bundeskunsthalle, ihre Tätigkeit gleich wieder einstellen? Über den Rat der Fachleute setzte sich eine große Koalition in der Bezirksvertretung mit zwei armseligen Argumenten hinweg: Erstens fehle der Stadt das Geld, um Künstler aus eigenen Mitteln zu honorieren, und zweitens habe man sich an die Platzhirsche gewöhnt. Der beim Bonner Amtsgericht unter dem täuschenden Namen Stiftung für Kunst und Kultur eingetragene Verein könnte sich nun auflösen, verfolgte er mit seinem „Kunstprojekt Bonn“ nach eigenen Angaben doch die Absicht, bei den Bonnern den Sinn für Neues, Herausforderndes und Experimentelles zu wecken. Aber das war natürlich nie ernst gemeint; Kunst ist in der Sphäre des Vereinsgründers Walter Smerling eine Chiffre für das Wertvolle an sich, das, was man sich schuldig zu sein glaubt, selbst wenn man es sich nicht leisten kann.

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In Köln hat die Bezirksvertretung Innenstadt in einem ähnlich gelagerten Fall gleichzeitig die entgegengesetzte Entscheidung getroffen: Wie es der Kölner Kunstbeirat empfohlen hat, wird die Kopie von Rodins Balzac-Denkmal auf dem Neumarkt, die Henrik Hanstein, der Inhaber des Kunsthauses Lempertz, im Mai 2022 im Beisein der Oberbürgermeisterin vor seinen Geschäftsräumen enthüllte, wieder abgebaut. Zwar äußerte sich Hanstein der Stadtverwaltung gegenüber „äußerst positiv über die Erfahrungen mit dem Kunstwerk“, aber eine Umfrage hat ergeben, dass die meisten Passanten der Bronzestatue keinen Blick schenken. Souverän sieht der Großstädter über Attraktionen hinweg, die er aus Bildbänden, Reiseführern und Auktionskatalogen kennt. Kölns Retoure ist Bonns Chance. Der Stiftungsverein sollte Balzac Asyl gewähren und die Superschnitzer Cragg und Lüpertz mit dem Größtgießer Rodin überbieten. Balzac könnte Szenen aus dem Leben der Provinz betrachten – am schönsten in der Viktoriastraße im Stadtbezirk Bad Godesberg, gegenüber dem Sitz des Vereins, dessen Vorsitzender noch zwischen den Glücksrittern der „Menschlichen Komödie“ eine schillernde Figur machen würde.

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Rodin für Bonn

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18.03.2024

Die Universitätsbuchhandlung hat die Schriften der Ernst-Robert-Curtius-Preisträger verramscht, der Schreibwarenhändler musste den Insolvenzantrag unterschreiben, und die Spielzeugeisenbahn, die in der Adventszeit im Schaufenster ihre Runden drehte, ist für immer ins Depot eingefahren. Falls auch noch der Kaufhof dichtmachen muss, wird sich die Bonner Innenstadt endgültig in eine Geisterstadt verwandeln. Zwischen ausgetrockneten Spring­brunnen und unbepflanzten Blu­menkübeln spuken Behaglichkeit und Behäbigkeit, die Wohllebensgeister einer Stadt der Rentiers, die schon im neunzehnten Jahrhundert von ei­nem Wohlstand lebte, der in größeren und hässlicheren Städten rheinabwärts erwirtschaftet worden war.

Der Schrecken des Leerstands hält die Lokalpolitiker voll im Griff. In panischer Einmütigkeit hat die Bezirksvertretung Bonn jetzt dafür gesorgt, dass zwei Luxusmarkenartikel im Innenstadtgebiet verbleiben, die Skulpturen „Hommage an Beethoven“ von Markus Lüpertz und „Mean........

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