Wie er da stand am vergangenen Sonntagabend gegen 19.20 Uhr, das weiße T-Shirt unterm blauen Pullover hing längst, wie immer gegen Ende eines Spiels, aus der Hose, wie er jubelte, die Fäuste ballte, das hatte etwas Berührendes: wie ein Junge, der es nicht fassen kann. Obwohl er schon Weltmeister, Europameister ist, ein paar Mal die Champions League gewonnen hat und 2005 in diesem legendären Spiel dabei war, als Liverpool ein 0-3 gegen Milan drehte. Xabier Alonso Olano ist auch ein Mann, der sich stilsicher freut, wo andere nur ausrasten.

Und der immer neugierig war und wissbegierig. Es heißt, er habe, als er nach Liverpool kam und nichts über England wusste, Bücher gelesen und Museen besucht. Als er nach München kam, fand er die Pinakothek „toll“. Er hatte begriffen, dass in einem Land nur gut Fußball spielen wird, wer es zu begreifen versucht. Andere scheitern lieber beim Friseur oder im Tattoostudio.

Er hat sich nach Leverkusen locken lassen, in eine Stadt, wo man lieber nicht stranden möchte, weil er sah, dass sich dort etwas aufbauen ließ, was seinen Maßstäben entsprach. Er zweifelte zunächst an seiner Eignung für den Trainerberuf, deshalb begann er vorsichtig, bei der U-14 von Real Madrid. In seinem Auftreten ist, bei allem Temperament, eine Demut zu spüren, wie sie in der Bundesliga nur Freiburgs Christian Streich zeigt, der andere Pulloverträger an der Seitenlinie. Der Erfolg komme „vielleicht zu schnell“, sagte Alonso am Sonntagabend nach der Bierdusche.

Es ist zu vermuten, dass der Skeptiker Xabi Alonso auch ein analytischer Kopf ist. Es gibt ein Instagramvideo, vom Leverkusener Training, wo er selber einen Pass schlägt, den man analytisch nennen muss, weil er in Sekundenbruchteilen alle Verteidigungsmöglichkeiten antizipiert und so spielt, dass es die Abwehr zerlegt. Solche Bälle, sagt Florian Wirtz, könne auch heute nur Xabi Alonso spielen.

Er ist der Regisseur eines Teams, das er geformt hat. Er kennt die Fähigkeiten jedes Einzelnen – deswegen funktioniert sein System der kurzen Abstände. Seine Nähe zu den Spielern und seine Autorität sind unverkennbar, wenn er, wie jetzt gegen West Ham United, in einer hitzigen, schwierigen Phase einen Spieler beiseite nimmt und ihm etwas ins Ohr flüsterte, was beruhigt und instruktiv wirkt. Wäre er ein Filmregisseur, müsste sofort und überall eine Retrospektive seines Gesamtwerks gezeigt werden.

Es ist nicht nur die Serie ohne Niederlagen, für die er Bewunderung verdient. Es ist auch sein Entschluss, in Leverkusen zu bleiben, weil seine Arbeit noch nicht getan sei. Warum sollte er zu Bayern München gehen? Das wäre ein Fortschritt allein aus bayerischer Sicht. Real Madrid, der FC Liverpool, seine anderen beiden Clubs, da wird er irgendwann landen – sofern er zu dem Schluss kommt, dem gewachsen zu sein.

Xabi Alonso, so ist anzunehmen, hat einen Plan, wie er sich entwickeln möchte. Er folgt einer anderen Logik als jener der Scheichs und großen Summen. Er war schon als Spieler nie der schnellste, lauteste, aggressivste, aber er hatte immer diese fabelhafte Spielintelligenz, das freie Auge für die Räume. Nun gibt er als Trainer einem Team, was er selbst hat: Charakter. Was nicht essentialistisch, sondern im Sinne von F. Scott Fitzgerald zu verstehen ist: „Action is character“.

Es ist nicht bekannt, welche politischen Ansichten Xabi Alonso vertritt, es ist unerheblich, so wie es sympathisch und nicht relevant war, dass er mal die Serien „True Detective“ und „Fargo“ lobte. Sein Erfolg verrät eine integrative Kraft, die rund zwei Dutzend begabte junge Männer zu einem grandiosen Ensemble gemacht hat. Xabi Alonso ist für diesen Erfolg, philosophisch gesprochen, nicht die hinreichende Bedingung. Aber ohne Zweifel die notwendige.

QOSHE - Action ist Charakter - Peter Körte
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Action ist Charakter

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20.04.2024

Wie er da stand am vergangenen Sonntagabend gegen 19.20 Uhr, das weiße T-Shirt unterm blauen Pullover hing längst, wie immer gegen Ende eines Spiels, aus der Hose, wie er jubelte, die Fäuste ballte, das hatte etwas Berührendes: wie ein Junge, der es nicht fassen kann. Obwohl er schon Weltmeister, Europameister ist, ein paar Mal die Champions League gewonnen hat und 2005 in diesem legendären Spiel dabei war, als Liverpool ein 0-3 gegen Milan drehte. Xabier Alonso Olano ist auch ein Mann, der sich stilsicher freut, wo andere nur ausrasten.

Und der immer neugierig war und wissbegierig. Es heißt, er habe, als er nach Liverpool kam und nichts über England wusste, Bücher gelesen und Museen besucht. Als er nach München kam, fand er die Pinakothek „toll“. Er hatte begriffen, dass in einem Land nur gut Fußball spielen wird, wer es zu begreifen versucht. Andere scheitern lieber beim Friseur oder im Tattoostudio.

Er hat sich........

© Frankfurter Allgemeine


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