Die herrliche Landschaft der Highlands, die wilde Schönheit der Küste, die Altstadt von Edinburgh: Für viele Urlauber ist Schottland ein Sehnsuchtsort. Die Schottische Nationalpartei (SNP) will beweisen, dass sie es besser kann als England. Die seit 2007 regierende links-nationale Unabhängigkeitspartei hat es lange geschickt verstanden, sich als die bessere Alternative zum Westminster-System zu präsentieren. Doch dieses Bild hat Risse bekommen. In Wählerumfragen ist die SNP regelrecht abgestürzt. Bei der britischen Parlamentswahl dieses Jahr droht eine herbe Niederlage.

Das hat mehrere Gründe. Für viele Wähler verstörend sind die Finanzskandale der Partei, die nach dem Rücktritt der langjährigen Regierungschefin Nicola Sturgeon ans Licht kamen. Sturgeon und ihr Ehemann, der Parteigeschäftsführer, wurden von der Polizei stundenlang verhört. Die SNP hat mutmaßlich Hunderttausende Pfund Spenden veruntreut, die für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zweckgebunden waren.

Außerdem hatte die Partei die Öffentlichkeit über die Zahl ihrer Mitglieder angelogen. Das alles wurde durch Clan-ähnliche, beinahe mafiöse Strukturen um das einstige „Polit-Powerpaar“ gedeckt. Sturgeons Nachfolger Humza Yousaf steht nun vor den Scherben.

Auch der aktuell tagende Covid-Untersuchungsausschuss, der das Pandemie-Management aufarbeiten soll, wirft kein gutes Licht auf die damalige Ministerpräsidentin. Sturgeon präsentierte sich als die vertrauenswürdige Landesmutter, das Gegenbild zum chaotischen verantwortungslosen Boris Johnson in London. Doch nun kommt heraus, wie planlos und klandestin das Covid-Küchenkabinett in Edinburgh arbeitete.

Whatsapp-Nachrichten wurden gelöscht, um Spuren zu verwischen. Zusammen mit den Finanzskandalen verfestigt sich das Bild einer Regierung im Graubereich. Böse Zungen sprechen von „McMafia“.

Seit Sturgeons Sturz wird die Bilanz der SNP-Jahre kritischer hinterfragt. Seit der „Devolution“ 1998, die Schottland, Wales und Nordirland Autonomierechte gibt, kann die Regionalregierung in vielen Bereichen eigenständig schalten. Der Landesteil besitzt weiter reichende Kompetenzen in Sachen Steuern und Wirtschaft, Gesundheits-, Bildungs-, Energie- und Infrastrukturpolitik.

Jahrzehntelang schimpfte die SNP, dass alles Schlechte durch die englische Fremdbestimmung komme. Sie versprach den Wählern ein Paradies, falls das Land unabhängig würde. Doch ihre Regierungsbilanz ist alles andere als berauschend.

Obwohl Schottland von milliardenschweren Finanztransfers aus England profitiert, sind die öffentlichen Dienste qualitativ nicht besser aufgestellt. Der Gesundheitsdienst NHS Scotland ist genauso überlastet mit endlosen Wartelisten für Krankenhäuser und Arztpraxen wie der NHS England.

Die SNP-Bilanz in der Schulpolitik ist ebenfalls sehr mäßig. Schottische Kinder schneiden in den PISA-Vergleichstests schlechter ab. Es gibt schwere sozialpolitische Pro­bleme und Armut in einigen Städten. Die Rate der Drogentoten ist dreimal so hoch wie in England und die höchste ganz Europas.

In der Steuer- und Wirtschaftspolitik verfolgt die SNP, die mit den Grünen koaliert, eine sozialdemokratische Linie. Interventionen zur Förderung der Glasgower Schiffswerften gingen fürchterlich schief und kosteten den Steuerzahler viele Millionen. Verglichen mit England ist Schottland ein Hochsteuerland.

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Vor Kurzem kündigte die SNP-Finanzministerin Robison eine neue oberste Steuerstufe an. Zusammen mit dem Entzug von Steuerfreibeträgen müssen Gutverdiener ab 100.000 Pfund Einkommen fast 70 Prozent Grenzsteuer zahlen. Es könnte dem Bankenplatz Edinburgh schaden, wenn Top-Verdiener abwandern.

Das große Ziel der SNP – die staatliche Unabhängigkeit – wird derweil immer unwahrscheinlicher. Die Per­spektive für ein zweites Referendum verdunkelt sich. In Umfragen schwindet die Zustimmung zur Unabhängigkeit, denn die Partei bietet keine glaubwürdigen Lösungen für die praktische Verwirklichung an. Wie würde sie das riesige Finanzloch stopfen, wenn die Transfers aus England wegfielen?

Früher wollte die SNP den Reichtum der Ölindustrie nutzen, doch jetzt propagieren viele einen möglichst raschen Ausstieg aus Nordsee-Öl und -Gas. Falls ein unabhängiges Schottland in die EU einträte, müsste es eine Zollgrenze zu England errichten, mit schwersten Folgen für den Handel. Auch die Schulden- und Währungsfrage im Fall einer Unabhängigkeit ist völlig ungeklärt. Die SNP hat jahrelang mit Illusionen gehandelt. Der Lack ist ab.

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Schottland ist kein Paradies

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01.02.2024

Die herrliche Landschaft der Highlands, die wilde Schönheit der Küste, die Altstadt von Edinburgh: Für viele Urlauber ist Schottland ein Sehnsuchtsort. Die Schottische Nationalpartei (SNP) will beweisen, dass sie es besser kann als England. Die seit 2007 regierende links-nationale Unabhängigkeitspartei hat es lange geschickt verstanden, sich als die bessere Alternative zum Westminster-System zu präsentieren. Doch dieses Bild hat Risse bekommen. In Wählerumfragen ist die SNP regelrecht abgestürzt. Bei der britischen Parlamentswahl dieses Jahr droht eine herbe Niederlage.

Das hat mehrere Gründe. Für viele Wähler verstörend sind die Finanzskandale der Partei, die nach dem Rücktritt der langjährigen Regierungschefin Nicola Sturgeon ans Licht kamen. Sturgeon und ihr Ehemann, der Parteigeschäftsführer, wurden von der Polizei stundenlang verhört. Die SNP hat mutmaßlich Hunderttausende Pfund Spenden veruntreut, die für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum zweckgebunden waren.

Außerdem hatte die Partei die Öffentlichkeit über die Zahl ihrer Mitglieder angelogen. Das alles wurde durch Clan-ähnliche, beinahe mafiöse Strukturen um das einstige........

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