Das Karlsruher Urteil zum Haushalt hat die Ampelregierung finanziell in die Bredouille gebracht. Viele Prestigeprojekte der drei Partner setzten verfassungsgemäße Nebenhaushalte voraus. Durch den Spruch des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich, wie schwer umsetzbar auch sinnvolle Vorhaben sind, wenn ihnen eine verbindliche und dauerhafte Finanzierungsgrundlage fehlt. Dazu gehört das Generationenkapital, das die FDP vorangetrieben hat.

Vormals unter dem Stichwort „Aktienrente“ bekannt, geht es um den Aufbau eines Kapitalstocks, um das unter Druck geratene Umlagesystem der gesetzlichen Rente zu entlasten. Durch die Geburtenschwäche seit Ende der Sechzigerjahre kehrt sich das Verhältnis zwischen Berufstätigen und Ruheständlern um. Zudem hat sich die Dauer des Ruhestands innerhalb eines halben Jahrhunderts verdoppelt. Ende der Zwanzigerjahre wird das zu spüren sein.

Eine stärkere ergänzende Kapitaldeckung hätten Bundesregierungen schon in den Achtzigerjahren einführen sollen. Damals drängten der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf und sein Vertrauter Meinhard Miegel auf diesen Schritt. Doch erst die rot-grüne Regierung setzte Anfang des Jahrtausends auf eine Kombination aus geringerem Rentenniveau und zusätzlicher, staatlich geförderter privater Altersvorsorge zum Ausgleich (der Riester-Rente). Damit sollten Rentner stärker am Produktivkapital der Wirtschaft beteiligt werden.

Doch die Riester-Rente war zu defensiv gestaltet. In der langen Niedrigzinsphase zeigte sich, dass die gesammelte Ersparnis in Staatsanleihen und Pfandbriefe investiert wurde – statt in Aktien und Beteiligungen, die höhere Risiken haben, aber auch bessere Renditeaussichten. Das fast gleichzeitig eingeführte schwedische System setzte stärker auf risikoreichere Geldanlagen. Auch in den Niederlanden und Dänemark, wo die betriebliche Altersversorgung besonders stark ist, vertraut die Gesellschaft mehr auf Aktien.

In großen Vermögensstudien zeigt sich heute der Effekt dieses etwas größeren Muts in der Altersvorsorge. Ein durchschnittlicher Niederländer, Däne oder Schwede sammelt durch die offeneren Vorsorgesysteme leicht 30.000 bis 40.000 Euro mehr Vermögen im Leben an als eine durchschnittliche Deutsche. Der wichtigste Grund ist die zögerliche Altersvorsorgepolitik, in der die erste Säule – die umlagefinanzierte gesetzliche Rente – weiter dominiert, während die geförderte Kapitalanlage nur wenige Früchte trägt, da defensive Titel dominieren.

Die Ampel hat aus dieser Entwicklung richtige Schlüsse gezogen. Durch ihre Verabredungen schimmert überall ein bisschen Schweden. In jeder der drei Säulen soll Vorsorgekapital stärker wachsen. Fesseln für Aktieninvestments sollen gelöst werden: in der ­gesetzlichen Säule durch das Generationenkapital (dem im Zuge des Nachtragshaushalts allerdings gerade die erste Kapitaleinzahlung von 10 Milliarden Euro verloren ging), in der betrieblichen Säule durch einen Schub für das moderne Sozialpartnermodell, in der privaten Säule durch schlanke Förderbedingungen für ein kostengünstiges Standardprodukt.

Das Generationenkapital soll aber nun in diesem Jahr kommen. Dass für 2023 das Darlehen des Bundes gestrichen wurde, zeigt, auf welch wackligen Füßen es steht. Doch egal welche politischen Großthemen die Koalition derzeit beschäftigen: Die Reform der geförderten Altersvorsorge muss in diesem Jahr kommen, sonst wird es in dieser Legislatur nichts mehr. Dann wäre ein ganzes Jahrzehnt verloren, was einen Durchschnittsbürger Zehntausende Euro kosten kann.

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Auch die ursprüngliche Idee der Aktienrente darf nicht zu den Akten gelegt werden. Das Konzept des Generationenkapitals mit einem durch Mittel des Bundes aufgebauten Kapitalstock hat wegen der unsicheren Finanzierung Schwächen. In Schweden werden die obligatorischen Vorsorgefonds hingegen aus Beiträgen finanziert. Diese fehlen dann zwar für die Umlage, aber in der Zukunft würden die Renditen aus der Kapitalanlage das Rentensystem dann entlasten.

Leider gibt es bedeutende gesellschaftliche Stimmen, deren Sicht auf kapitalgestützte Altersvorsorge von schiefen Bildern geprägt ist. Plötzlich verarmte Rentner in den USA während der Finanzkrise werden von Gewerkschaften als Schreckensszenario genannt. Dass sich Altersvorsorgemodelle aber besser diversifizieren lassen, dass sie auch weiter Absicherungen beinhalten können, zeigen die Beispiele der genannten europäischen Länder. Auf Vermögen im Alter zu verzichten, um die Bevölkerung vor bewältigbaren Krisen zu schützen, ist der falsche Ansatz. Die Ampel sollte das Jahr 2024 für Reformen nutzen.

QOSHE - Altersvorsorge duldet keinen Aufschub - Philipp Krohn
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Altersvorsorge duldet keinen Aufschub

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13.01.2024

Das Karlsruher Urteil zum Haushalt hat die Ampelregierung finanziell in die Bredouille gebracht. Viele Prestigeprojekte der drei Partner setzten verfassungsgemäße Nebenhaushalte voraus. Durch den Spruch des Bundesverfassungsgerichts zeigt sich, wie schwer umsetzbar auch sinnvolle Vorhaben sind, wenn ihnen eine verbindliche und dauerhafte Finanzierungsgrundlage fehlt. Dazu gehört das Generationenkapital, das die FDP vorangetrieben hat.

Vormals unter dem Stichwort „Aktienrente“ bekannt, geht es um den Aufbau eines Kapitalstocks, um das unter Druck geratene Umlagesystem der gesetzlichen Rente zu entlasten. Durch die Geburtenschwäche seit Ende der Sechzigerjahre kehrt sich das Verhältnis zwischen Berufstätigen und Ruheständlern um. Zudem hat sich die Dauer des Ruhestands innerhalb eines halben Jahrhunderts verdoppelt. Ende der Zwanzigerjahre wird das zu spüren sein.

Eine stärkere ergänzende Kapitaldeckung hätten Bundesregierungen schon in den Achtzigerjahren einführen sollen. Damals drängten der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf und sein Vertrauter Meinhard Miegel auf diesen Schritt. Doch erst die rot-grüne Regierung setzte Anfang des Jahrtausends auf eine Kombination aus geringerem Rentenniveau und........

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