Am Finanzmarkt zeigen sich die Herausforderungen der Nachhaltigkeitspolitik in einem Brennglas. Sollen unkontrollierbare Entwicklungen durch den menschengemachten Klimawandel oder den ungebremsten Verlust der Biodiversität vermieden werden, müssen Märkte schnell umschwenken. Denn die Zeit bis Mitte des Jahrhunderts, dem Enddatum des Pariser Klimavertrags, ist knapp bemessen.

Schnelles Handeln ließe sich mit scharfen ordnungspolitischen Rezepten erreichen. Doch starre Verbote lösen nicht nur Widerstandsreflexe in der Bevölkerung aus, sie klammern auch eine Vielfalt zukünftiger Handlungsoptionen durch spätere Innovationen aus.

Am Finanzmarkt gibt es eigentlich einen Konsens, dass marktgängige Konzepte viel überzeugender sind. Immer häufiger aber ist – manchmal hinter vorgehaltener Hand, seltener öffentlich – zu hören: Wenn die Politik einen Weg in die Nachhaltigkeit anstrebe, müsse sie umweltschädliche Aktivitäten verbieten. Gemeint ist oft: Verbote sind absurd, aber das Projekt Nachhaltigkeit ist so anspruchsvoll, dass es die Marktakteure überfordert. Also reden wir über Verbote, um das unerreichbare Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 rhetorisch zu untermauern.

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Der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung schlägt zum Glück einen anderen Weg ein. Er hat mit verschiedenen Empfehlungen an die Ampel Lösungsvorschläge erarbeitet, die zeigen, wie anspruchsvoll die Aufgabe ist. Gleichzeitig ist der Beirat optimistisch, was die Leistungsfähigkeit von Banken, Versicherern, Kommunen, Start-ups und privaten Kleinanlegern angeht.

Der Vorschlag, analog zum Nutri-Score der Lebensmittelhersteller ein einfaches Skalensystem zu schaffen, das die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten beschreibt, ist begrüßenswert. Die immer wieder abgefragte Bereitschaft, eigenes Geld umweltfreundlich anzulegen, zeigt sich noch nicht in der Praxis. Es schadet nichts, die analytisch schwierige Übung bis zum Ende zu führen, die Vielzahl an Informationen in einen übersichtlichen Score zu gießen.

Trotzdem muss man die Erwartungen dämpfen. Finanzmärkte zeigen in so vielen verschiedenen Facetten, dass Kunden keine vernunftgetriebenen, wohl informierten Entscheidungen treffen. Der mündige Bürger ist eine Mär. Der Erfolg von Finanzprodukten korreliert stärker mit der Vertriebskraft ihrer Anbieter als mit ihren Leistungsdaten. Die Informationsasymmetrie zwischen Vermittler und Verbraucher ist durch die Komplexität größer als auf dem Lebensmittelmarkt.

Gute Ergebnisse im akademischen Experiment bedeuten keinen Umbruch am Point of Sale. Die Vorbehalte, sich finanziell für mehr Nachhaltigkeit zu engagieren, liegen tiefer. Es wäre schön, wenn eine solche Nachhaltigkeitsskala etwas dazu beitragen könnte, diese etwas zu verringern.

QOSHE - Ein Schritt gegen die tiefen Nachhaltigkeits-Vorbehalte - Philipp Krohn
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Ein Schritt gegen die tiefen Nachhaltigkeits-Vorbehalte

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01.03.2024

Am Finanzmarkt zeigen sich die Herausforderungen der Nachhaltigkeitspolitik in einem Brennglas. Sollen unkontrollierbare Entwicklungen durch den menschengemachten Klimawandel oder den ungebremsten Verlust der Biodiversität vermieden werden, müssen Märkte schnell umschwenken. Denn die Zeit bis Mitte des Jahrhunderts, dem Enddatum des Pariser Klimavertrags, ist knapp bemessen.

Schnelles Handeln ließe sich mit scharfen ordnungspolitischen Rezepten erreichen. Doch starre Verbote lösen nicht nur Widerstandsreflexe in der Bevölkerung aus, sie klammern auch eine Vielfalt zukünftiger Handlungsoptionen durch spätere Innovationen aus.

Am Finanzmarkt gibt es eigentlich einen Konsens, dass marktgängige Konzepte viel überzeugender sind. Immer häufiger........

© Frankfurter Allgemeine


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