Es ist eine sehr deutsche Vorstellung, dass die Demokratie durch Recht geschützt werden kann. In Amerika sehen das auch viele Rechtswissenschaftler anders: Der Wähler entscheidet – und wenn die Mehrheit einen Diktator will, dann bekommt sie eben einen Diktator.

Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen, seit Donald Trump in einer seiner zahlreichen, nicht immer konsistenten Äußerungen genau das für den „ersten Tag“ seiner zweiten Amtszeit angekündigt hat: eine Diktatur. Er steht natürlich nicht außerhalb des Rechts, das meint auch kein ernstzunehmender Amerikaner. Aber ein Gericht, so die Überzeugung, sollte niemanden daran hindern, gewählt zu werden und ein Amt anzutreten.

In Deutschland sieht man das aus historischer Erfahrung anders. Unter dieser Ordnung, welche die Demokratie als Ewigkeitskern enthält, und eigentlich somit unter überhaupt keinem System soll niemand an die Macht kommen, der eine totalitäre Herrschaft errichten will, der die grundlegenden Menschenrechte leugnet, der bestimmte Menschen aufgrund ihres Soseins diskriminiert.

Es liegt allerdings auf der Hand, dass das eine Gratwanderung ist. Denn Hand in Hand mit der festgeschriebenen Überzeugung, dass die Demokratie nicht auf demokratischem Wege abgeschafft werden darf, besteht das Recht jedes einzelnen Bürgers, das demokratische System abzulehnen. Meinen darf man alles Mögliche, auch Absurdes, gar Verfassungsfeindliches. Letzteres darf man aber nicht umsetzen wollen. Eine andere Ordnung kann man anstreben, man könnte sie sogar auf verfassungsgemäßem Wege erreichen, aber keine Diktatur.

So will es die geltende Ordnung, und so lautet die Hoffnung. Denn es ist natürlich eine Illusion, zu glauben, das Grundgesetz könne allein durch sein Dasein einen Umsturz verhindern. Die Verfassung und ihre mit Leben gefüllten Institutionen können aber dafür sorgen, dass sich auf demokratischem Wege eine Gewalt- und Willkürherrschaft nicht wiederholt.

Man braucht dafür nicht zwingend Verfassungsschutzämter, aber rechtsstaatlich agierende Behörden und unabhängige Gerichte. In Italien und Frankreich ist offenbar kaum jemand auf die Idee gekommen, die Damen Meloni und Le Pen behördlich offiziell zu beobachten oder gar ihre Parteien zu verbieten, weil sie politisch zu extrem wären.

Aber diese Form der Wehrhaftigkeit gehört nun einmal aus guten historischen Gründen zur deutschen Verfassungswirklichkeit. In keinem anderen Land ist eine totalitäre Bewegung auf halbwegs legalem Wege an die Macht gekommen, die dann einen (Welt-)Krieg anzettelte und einen Völkermord nicht nur ankündigte, sondern auch umsetzte. Und das Land verwüstet und geteilt hinterließ.

Diese Erfahrung hat so keine andere Demokratie gemacht. Deshalb fehlt es anderswo an entsprechenden institutionellen Vorkehrungen. Mitnichten allerdings lässt sich pauschal behaupten, in anderen westlichen Ländern lebe es sich freier, man dürfe „mehr“ sagen. Jeder Staat hat seine eigenen Grenzen.

Deutschland muss politischer Gewalt und menschenunwürdiger Ausgrenzung entgegentreten. Gesetzliche Lücken gibt es da im Grunde nicht. Auch Verbote gehören zum Rechtsstaat. Viele Vereinigungen und zwei politische Parteien wurden im Lauf der Zeit verboten, ohne dass dieses Instrument grundsätzlich infrage gestellt worden wäre.

Es ist nur kein beliebiges Mittel politischer Auseinandersetzung und ersetzt diese auch nicht. Es ist das schärfste Schwert, dessen Nutzung sehr hohe Kosten hat und sorgfältig wie diskret abgewogen werden sollte. Das Parteienprivileg ist kein Privileg für Menschenfeindlichkeit. Gesinnungen kann man nicht verbieten, aber jeder verantwortlich Handelnde muss die inhaltliche Auseinandersetzung, die er fordert, dann auch führen.

Umgekehrt sollte es ein freiheitlicher Staat nicht nötig haben, Vielfalt zu verordnen oder eine ihm genehme bestimmte Öffentlichkeit zu fördern. Der weite Begriff der Gemeinnützigkeit, verbunden mit steuerlichen Erleichterungen, lässt jedem Raum. Der Staat mag weiterhin einzelne Projekte von allgemeinem Interesse fördern. Er muss aber, um seiner Freiheitlichkeit willen, parteipolitisch neutral sein. Auch der Verfassungsschutz darf kein Instrument der Parteipolitik sein. Er ist auch keine (Sprach-)Polizei.

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Die Demokratie wird am besten gefördert, indem ihre Grundlagen gestärkt werden, das Forum für eine freie Auseinandersetzung und die Sicherung derselben. Ohne Sicherungen ist man schnell wieder bei Gewalt und Willkür. Und da sind wir gebrannte Kinder.

QOSHE - Die freie Diskussion sichern - Reinhard Müller
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Die freie Diskussion sichern

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28.03.2024

Es ist eine sehr deutsche Vorstellung, dass die Demokratie durch Recht geschützt werden kann. In Amerika sehen das auch viele Rechtswissenschaftler anders: Der Wähler entscheidet – und wenn die Mehrheit einen Diktator will, dann bekommt sie eben einen Diktator.

Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen, seit Donald Trump in einer seiner zahlreichen, nicht immer konsistenten Äußerungen genau das für den „ersten Tag“ seiner zweiten Amtszeit angekündigt hat: eine Diktatur. Er steht natürlich nicht außerhalb des Rechts, das meint auch kein ernstzunehmender Amerikaner. Aber ein Gericht, so die Überzeugung, sollte niemanden daran hindern, gewählt zu werden und ein Amt anzutreten.

In Deutschland sieht man das aus historischer Erfahrung anders. Unter dieser Ordnung, welche die Demokratie als Ewigkeitskern enthält, und eigentlich somit unter überhaupt keinem System soll niemand an die Macht kommen, der eine totalitäre Herrschaft errichten will, der die grundlegenden Menschenrechte leugnet, der bestimmte Menschen aufgrund ihres Soseins diskriminiert.

Es liegt allerdings auf der Hand, dass das eine Gratwanderung ist. Denn Hand in Hand mit der festgeschriebenen........

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