Der Wechsel an der Spitze des ukrainischen Militärs hat sich über Wochen angekündigt. Über die Gründe der Spannungen zwischen militärischer und politischer Führung in Kiew wurde in dieser Zeit viel spekuliert. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurde unterstellt, er nehme General Valerij Saluschnyj übel, dass dieser in der Bevölkerung nach allen Umfragen beliebter ist als er; der Präsident fürchte mögliche politische Ambitionen des Oberkommandierenden, hieß es.

Selenskyj hat solche Mutmaßungen mit einigen Äußerungen genährt, während seine Umgebung ihnen allenfalls halbherzig entgegentrat. So entstand der Eindruck, in Kiew würden kleinliche politische Spielchen getrieben, die angesichts des Ernstes der Lage der Ukraine unangemessen und unwürdig wären.

Dabei trat in den Hintergrund, dass es angesichts der missglückten ukrainischen Sommeroffensive voriges Jahr auch sachlich begründete Meinungsunterschiede zwischen politischer und militärischer Führung der Ukraine gab. Solche Spannungen sind unvermeidlich, ihre Ursache liegt in den unterschiedlichen Aufgaben, Verantwortungsbereichen und Herangehensweise von Militärs und Politikern an Probleme. Dass sie durch Misserfolge vergrößert werden, ist natürlich.

Wahrscheinlich werden Historiker und Militärs erst mit einigem zeitlichen Abstand nach dem Krieg beurteilen können, wer im Sommer 2023 welche Fehler gemacht hat. Bis dahin gilt: Auch im Krieg gilt das Primat der Politik. Es ist Präsident Selenskyjs Recht und Verantwortung, Entscheidungen über die militärische Führung der Ukraine zu treffen.

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Schließlich ist von außen nicht zu beurteilen, welchen Tribut zwei Jahre Krieg mit dem ständigen Druck, schwierige Entscheidungen zu treffen, bei Saluschnyj gefordert haben. Selenskyj und Saluschnyj haben nach ihrem Treffen am Donnerstag in ihren Botschaften hervorgehoben, dass jede Phase des Kriegs gegen den russischen Aggressor andere Anforderungen stelle.

Vielleicht zeugt Selenskyjs Entscheidung auch von der Fähigkeit der politischen Führung in Kiew, das zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen.

QOSHE - Auch im Krieg gilt das Primat der Politik - Reinhard Veser
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Auch im Krieg gilt das Primat der Politik

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09.02.2024

Der Wechsel an der Spitze des ukrainischen Militärs hat sich über Wochen angekündigt. Über die Gründe der Spannungen zwischen militärischer und politischer Führung in Kiew wurde in dieser Zeit viel spekuliert. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurde unterstellt, er nehme General Valerij Saluschnyj übel, dass dieser in der Bevölkerung nach allen Umfragen beliebter ist als er; der Präsident fürchte mögliche politische Ambitionen des Oberkommandierenden, hieß es.

Selenskyj hat solche Mutmaßungen mit einigen Äußerungen genährt, während seine Umgebung ihnen........

© Frankfurter Allgemeine


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