In der Ukraine fällt ein Tabu. Nach dem Beginn der russischen Invasion war öffentliche Kritik an Präsident Wolodymyr Selenskyj lange Zeit so gut wie nicht zu hören. Als Verkörperung der nationalen Einheit und des Widerstands stand er über den Niederungen der Innenpolitik. Dass sich das nun ändert, liegt nicht nur an den widrigen Umständen zu Beginn des zweiten Kriegswinters, auf die der Präsident wenig Einfluss hat: Die Lage an der Front ist schwierig, und die Menschen im Land sind erschöpft.

Selenskyj und seine Mannschaft haben eine ganze Reihe kommunikativer und politischer Fehler gemacht. Allen voran sind da die Gerüchte über ein schweres Zerwürfnis zwischen politischer und militärischer Führung. Sie wurden durch Äußerungen Selenskyjs und seiner Umgebung genährt und am Leben gehalten, obwohl die Militärs keinen Anlass dafür gegeben haben.

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Hinzu kommt ein Verhalten gegenüber der Opposition, das den Eindruck aufkommen lässt, die Regierungsmannschaft wolle Kritiker unter dem Deckmantel der nationalen Einheit marginalisieren. Das Verbot für den früheren Präsidenten Petro Poroschenko, zu Gesprächen nach Un­garn zu reisen, ist nur ein Beispiel. Mit beidem beschädigen Selenskyj und seine Leute die Glaubwürdigkeit der Ukraine als einer um ihr Überleben kämpfende Demokratie. Und das zu einer Zeit, in der sich die Stimmung bei wichtigen Verbündeten ohnehin zu ihren Ungunsten zu wenden beginnt.

QOSHE - Das Ende eines Tabus in der Ukraine - Reinhard Veser
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Das Ende eines Tabus in der Ukraine

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03.12.2023

In der Ukraine fällt ein Tabu. Nach dem Beginn der russischen Invasion war öffentliche Kritik an Präsident Wolodymyr Selenskyj lange Zeit so gut wie nicht zu hören. Als Verkörperung der nationalen Einheit und des Widerstands stand er über den Niederungen der Innenpolitik. Dass sich das nun ändert, liegt nicht nur an den widrigen Umständen zu Beginn des zweiten Kriegswinters, auf die der Präsident wenig Einfluss hat: Die........

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