Eine unmittelbare Gefahr für die Macht Wladimir Putins wäre Boris Nadjeschdin auch dann nicht geworden, wenn die Behörden ihn zu dem als „Präsidentenwahl“ bezeichneten Ritual zugelassen hätten, das im März in Russland stattfinden soll. Der Staatsapparat ist geübt darin, im Zusammenspiel von Verwaltung und Sicherheitskräften das gewünschte Ergebnis für den Herrscher im Kreml zu produzieren.
Aber das allein reicht nicht mehr: Der Kreml will die sogenannte Wahl zu einer Demonstration der Geschlossenheit machen, mit der die russische Gesellschaft angeblich den Krieg gegen die Ukraine unterstützt.
Schon die langen Schlangen bei der Unterschriftensammlung für die Kandidatur des Kriegsgegners Nadjeschdin haben dieses Bild gestört. Sie haben sichtbar gemacht, dass eine beträchtliche Zahl von Russen offenbar nur auf eine Gelegenheit wartet, ohne Gefahr für Freiheit und Unversehrtheit gegen Putins Politik zu protestieren. Nadjeschdins Zulassung zur Wahl hätte ihnen eine solche Möglichkeit gegeben. Solche Nachgiebigkeit gegenüber der Minderheit der Kriegsgegner hätte andere Unzufriedene ermutigen können, weil sie als Zeichen der Schwäche des Regimes verstanden werden könnte.
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