Die sieben Jahre, in denen Donald Tusk von 2007 bis 2014 schon einmal Ministerpräsident war, waren gut für Polen. Das Land kam weit besser als die meisten anderen EU-Mitglieder durch die Finanzkrise. Seine Wirtschaft, sein Ansehen und sein Einfluss in Europa wuchsen. Doch als Tusk, international hoch angesehen, im Herbst 2014 als Regierungschef zurücktrat, um in Brüssel EU-Ratspräsident zu werden, hatten viele Polen schon genug von ihm.

Der Aufstieg in das europäische Spitzenamt hat ihn vor einem tiefen Sturz bewahrt: In der Parlamentswahl im Jahr darauf triumphierte die rechte PiS, während Tusks liberalkonservative Bürgerplattform eine verheerende Niederlage erlitt. Sie erhielt die Quittung dafür, dass sie an der Macht selbstzufrieden, arrogant und taub für die Bedürfnisse derer geworden war, die an Polens Erfolgsgeschichte nur wenig teilhatten.

Nun ist Tusk wieder Regierungschef in Warschau. Und seine Regierung hat ein so starkes Mandat wie bisher keine andere im demokratischen Polen. Für die Parteien der neuen Koalition haben in der Wahl am 15. Oktober gut doppelt so viele Bürger gestimmt wie im Jahr 2015 für die PiS bei deren erstem Wahlsieg, der ihr eine absolute Mehrheit der Sitze einbrachte.

Diese Zahlen zeigen die Bedeutung dessen, was geschehen ist. Der Grund für die Niederlage von Tusks Bürgerplattform vor acht Jahren war die normale Unzufriedenheit der Wähler mit einer Partei, die zu lange an der Regierung war. Doch bei der Abwahl der PiS ging es um viel mehr als den in einer Demokratie gewöhnlichen Regierungswechsel: Es ging um die Erhaltung der Demokratie.

Die PiS hat die Wahl verloren, weil eine Mehrheit der Polen grundsätzlich ablehnt, was sie tat. Sie stimmten gegen die Aneignung des Staates durch die Partei, gegen das Bestreben, ihrem Privatleben Moralvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert aufzuzwingen, gegen die Politisierung der Justiz, gegen die Selbstisolierung Polens in Europa und vor allem gegen die Spaltung der polnischen Gesellschaft, die die PiS mit ihrem offenen Hass auf alle Gegner betrieb.

Tusk hat in seiner Regierungserklärung am Dienstag die Botschaften wiederholt, mit denen seine Koalitionspartner und er im Wahlkampf auf die verleumderischen Angriffe aus den Reihen der PiS geantwortet haben: Er sprach von einem Polen der Solidarität und des Respekts vor unterschiedlichen Überzeugungen und Lebensstilen – und schloss immer wieder ausdrücklich auch die PiS in diese Gemeinschaft ein.

Tusks Rede offenbarte indes auch die Widersprüchlichkeit des Versprechens, das zu beenden, was in Polen als „polnisch-polnischer Krieg“ bezeichnet wird: Indem Tusk die Wahl vom 15. Oktober in eine Reihe mit historischen Freiheitskämpfen stellte und von einem Sieg über das „Böse“ sprach, tat er mit der PiS indirekt das, was diese seit Jahren offen mit ihren Gegnern macht – er erklärte sie zu Feinden des Landes.

Auf die praktische Politik übertragen heißt das: Einerseits will und muss die neue Regierung den Eindruck vermeiden, Rache an der PiS zu üben; andererseits ist eine politische und juristische Aufarbeitung des Machtmissbrauchs der abgewählten Regierung nötig, um Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Es wird Prozesse gegen PiS-Politiker geben – die dann womöglich vor Richtern stehen, die in der Vergangenheit gegen die Demontage des Rechtsstaats durch die PiS protestiert haben.

Die Chancen sind gering, dass Polens neue Regierung normal wird arbeiten können. Die unnötige Verschleppung der Regierungsbildung um zwei Monate durch Staatspräsident Duda und die jüngsten antieuropäischen Urteile des von der PiS kontrollierten Verfassungsgerichts zeigen, mit welchen Hindernissen Tusk und seine Leute zu kämpfen haben. Und die skandalösen Vorfälle im Sejm während der Bestätigung der Regierung gaben einen Vorgeschmack auf den brutalen Ton, den die PiS in der Opposition anschlagen wird.

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Damit bleibt Polen selbst dann, wenn die neue Regierung tadellos arbeiten sollte, eine unvollständige Demokratie: Es gibt keine Opposition, die die Regierung Donald Tusks in der Sache kontrolliert und herausfordert. Sollte sich seine Koalition den Herausforderungen nicht gewachsen zeigen oder an den weltanschaulichen Widersprüchen zwischen der konservativ-katholischen Bauernpartei und der in Teilen aggressiv säkularen Linken zerbrechen, dann gäbe es keine demokratische Alternative zu ihr.

Eine erste Reifeprüfung hat das Bündnis in den Monaten des Machtübergangs schon bestanden. Doch die eigentlichen Bewährungsproben stehen noch aus. Erfüllte diese Regierung die hohen Erwartungen ihrer Wähler nicht, wären die Aussichten für Polens Demokratie noch düsterer als zuvor. Es ist keine Kraft erkennbar, die sie dann noch retten könnte.

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Mehr als ein normaler Machtwechsel

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15.12.2023

Die sieben Jahre, in denen Donald Tusk von 2007 bis 2014 schon einmal Ministerpräsident war, waren gut für Polen. Das Land kam weit besser als die meisten anderen EU-Mitglieder durch die Finanzkrise. Seine Wirtschaft, sein Ansehen und sein Einfluss in Europa wuchsen. Doch als Tusk, international hoch angesehen, im Herbst 2014 als Regierungschef zurücktrat, um in Brüssel EU-Ratspräsident zu werden, hatten viele Polen schon genug von ihm.

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