Es ist nicht ganz richtig zu sagen, das Frankfurter Cornelia-Goethe-Centrum habe „22 Professuren“. Die mehrheitlich weiblichen Wissenschaftler, die auf der Homepage des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung als Direktoren aufgelistet sind, kommen aus unterschiedlichen Fachbereichen, denen sie zuvörderst verpflichtet sind: Es sind Industriesoziologinnen, Sportwissenschaftler, Expertinnen für Verwaltungsrecht und neuere deutsche Literatur darunter, die auch dann genug zu tun haben dürften, wenn sie ihre Arbeitskraft gerade nicht in den Dienst des Gender Mainstreaming stellen. Zutreffend ist aber, dass all jene Forschungsrichtungen, die aus linker Perspektive dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen, an der Goethe-Universität üppig vertreten sind.

Von der Klassischen Philologie lässt sich das schon jetzt kaum behaupten. Und künftig noch weniger, wenn der Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften am 17. April tatsächlich beschließt, was derzeit erwogen wird: den Lehrstuhl für Latinistik im Jahr 2032 nicht wieder zu besetzen und die Fächer Griechisch und Latein fortan einer einzigen Professur anzuvertrauen.

Nicht nur der Leiter des altphilologischen Instituts und seine Studenten halten das für eine schlechte Idee. Auch Fachverbände und Schulrektoren warnen vor einer Verkümmerung der klassischen Fächer in Frankfurt, vor einem Zusammenstreichen der Forschung und des Angebots vor allem für Lehramtsstudenten.

Tatsächlich sollte sich die Fakultät noch einmal genau überlegen, ob sie die zweifellos nötigen Einsparungen von Personalkosten nicht auf anderem Weg erreichen kann. Latein und Altgriechisch mögen „tote“ Sprachen sein, und doch haben sie praktischen Wert: Wer zumindest Grundkenntnisse in ihnen besitzt, muss sich nicht jedes zweite Fremdwort ergoogeln, tut sich leichter beim Erlernen verwandter Fremdsprachen und gebietet über einen Zitatenschatz, der sich beim Verfassen von Texten und in gehobener Konversation als wertvoll erweist. Schon zwei Jahre Schulunterricht genügen dafür, und die Goethe-Uni bildet (noch) die Lehrer aus, die ihn erteilen können.

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Für den Humanisten, der zur privaten Erbauung Homer und Cicero im Original liest, mögen das profane Argumente sein. Aber sie könnten auch jene überzeugen, die universitäre Fächer vorzugsweise nach deren Alltagsrelevanz beurteilen. Ob das Wissen über sämtliche Spielarten geschlechtlicher Identität und den korrekten Gebrauch des Gendersterns in dieser Hinsicht wirklich mehr wert ist als ein basales Lateinvokabular, wäre noch zu beweisen.

QOSHE - Alte Sprachen haben Nutzwert - Sascha Zoske
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Alte Sprachen haben Nutzwert

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26.03.2024

Es ist nicht ganz richtig zu sagen, das Frankfurter Cornelia-Goethe-Centrum habe „22 Professuren“. Die mehrheitlich weiblichen Wissenschaftler, die auf der Homepage des Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung als Direktoren aufgelistet sind, kommen aus unterschiedlichen Fachbereichen, denen sie zuvörderst verpflichtet sind: Es sind Industriesoziologinnen, Sportwissenschaftler, Expertinnen für Verwaltungsrecht und neuere deutsche Literatur darunter, die auch dann genug zu tun haben dürften, wenn sie ihre Arbeitskraft gerade nicht in den Dienst des Gender Mainstreaming stellen. Zutreffend ist aber, dass all jene Forschungsrichtungen, die aus linker Perspektive dem gesellschaftlichen........

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