Das, was einen an der Erfolgsgeschichte des amerikanischen Musicals „Hamilton“ so beeindruckt, ist nicht nur der ungeheure kommerzielle Gewinn, den es einspielt. Es ist auch die heute ungeheuer unwahrscheinlich scheinende Möglichkeit, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern sich als Zuschauer für dieselbe unkonventionelle Darbietung der US-amerikanischen Gründungsgeschichte begeis­tern. Wer das Glück hatte, einmal im New Yorker Richard Rodgers Theatre eine Vorstellung von „Hamilton“ zu besuchen, der konnte links neben sich mit einem demokratisch gesinnten Werbetexter aus Manhattan und rechts mit einer republikanisch durchdrungenen Land­wirtin aus Arkansas sprechen.

Sowohl Barack Obama als auch Dick Cheney zeigten sich nach der Premiere begeistert. Unvergessen und fast schon ein historisches Datum der amerikanischen Spaltungsgeschichte, dass Mike Pence als Trumps designierter Vizepräsident im November 2016 eine Vorstellung besuchte – und danach vom Cast mit einer besorgten Ansprache adressiert wurde, in der man seine Politik scharf kritisierte, ihm aber eben auch mehrmals für den Besuch der Show dankte. Die Hoffnung, so wie sie Hauptdarsteller Brandon Victor Dixon damals formulierte, war, dass die Aufführung Pence dazu inspirieren könnte, „die amerikanischen Werte aufrechtzuerhalten und für uns alle zu arbeiten“. Das war nicht einfach so daher- gesagt. Wer sich den Mitschnitt der Ansprache anschaut, der kann etwas spüren von der Hoffnung auf Verständigung, die damals trotz aller Sorgen noch in der Luft lag.

Eine ähnliche Szene kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Nicht im heutigen Amerika, aber auch nicht hierzulande. Dabei wäre die Annahme, dass Theaterabende eine kritische Dynamik entwickeln könnten, gerade weil nicht nur Gleichgesinnte im Publikum sitzen, durchaus zu prüfen. In diesem Sinne hat sich nun interessanterweise ein Theaterintendant aus Österreich zu Wort gemeldet.

Der scheidende Direktor des Theaters in der Josefstadt Herbert Föttinger hat in einem Interview nicht nur mitgeteilt, dass er sich Frank Castorf als Nachfolger vorstellen könnte („Her mit Castorf“), sondern auch Repräsentanten der rechtspopulistischen FPÖ explizit zu Vorstellungen in sein Haus eingeladen. „Die sollen nur hereinkommen. Von mir aus soll auch Herbert Kickl kommen. Vielleicht kann er ein bisschen was lernen.“ Das klingt natürlich im ersten Moment gleich wieder wie eine „Correctiv“-relevante Einladung zu einem verdächtigen Theatertreffen. Aber aus einiger Entfernung könnte man auch das Verlangen eines Künstlers nach direkter Konfrontation mit dem politischen Gegner heraushören, seine Sehnsucht nach einem „Hamilton“-Moment.

QOSHE - Kommt rein! - Simon Strauss
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Kommt rein!

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09.03.2024

Das, was einen an der Erfolgsgeschichte des amerikanischen Musicals „Hamilton“ so beeindruckt, ist nicht nur der ungeheure kommerzielle Gewinn, den es einspielt. Es ist auch die heute ungeheuer unwahrscheinlich scheinende Möglichkeit, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern sich als Zuschauer für dieselbe unkonventionelle Darbietung der US-amerikanischen Gründungsgeschichte begeis­tern. Wer das Glück hatte, einmal im New Yorker Richard Rodgers Theatre eine Vorstellung von „Hamilton“ zu besuchen, der konnte links neben sich mit einem demokratisch gesinnten Werbetexter aus Manhattan und rechts mit einer republikanisch durchdrungenen Land­wirtin aus........

© Frankfurter Allgemeine


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