In Berlin-Mitte sind die Wege nicht weit. Vom Bundeskanzleramt bis zum Cubix-Kino sind es mit der S-Bahn nur 15 Minuten. Allerdings fährt die an diesem Tag nicht. Denn gerade regiert wieder Weselsky das Land und stellt mit seinem starken Arm alle Räder des öffentlichen Verkehrs still. Einen Stillstand ganz anderer Art hatten die Spitzen der in Regierungsverantwortung stehenden Parteien gegen Mittag im Bundeskanzleramt verkündet: Die 60 Milliarden, die sie eigentlich für Klimapolitik ausgeben wollten, dürfen sie nicht ausgeben. Dass der Haushalt einer Regierung für verfassungswidrig erklärt wurde, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik so noch nicht gegeben. Ein judikativer Shutdown sozusagen. Was das für das grüne Fortschrittsversprechen der Bundesregierung bedeutet, ist noch nicht abzusehen.
Um 12:49 Uhr spricht Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck. Die Enttäuschung über das Urteil steht ihm ins Gesicht geschrieben. Bei der Aufzählung dessen, was mit den Milliarden alles hätte bezahlt werden sollen, wirkt er müde. Wie ein Lehrer, der seiner lernfaulen Schulklasse schon wieder den Dreisatz erklären soll: Finanziert würden zum Beispiel die Senkung der Stromkosten, die Förderung von Gebäudesanierungen sowie „die Förderung von Immobilität“. Moment, hat Habeck wirklich „Immobilität“ gesagt? Eine bittere Selbstironie mit Blick auf den gescheiterten Ausbau der Ladesäulen, der für viele E-Auto-Fahrer ja in der Tat eine ziemliche Bewegungseinschränkung bedeutet? Oder nur ein freudscher Vernuschler? Wie auch immer. Am Ende seines kurzen Redebeitrags verspricht Habeck fast trotzig, „dass alle zugesagten Verpflichtungen eingehalten werden“. Was das bedeutet, wird sich zeigen. In jedem Fall erlebt man in dieser denkwürdigen Berliner Mittagsstunde eine bedröppelte Exekutive, die vom obersten Gericht in die Schranken gewiesen wurde.
Mehr zum Thema
1/
Karlsruher Urteil : Der Ampel geht das Geld aus
Urteil zu Schuldenbremse : Machtwort aus Karlsruhe
Unmut an Grünen-Basis : „Partei ist nur noch Werbeagentur für schlechte Kompromisse“
Abends um 18 Uhr hat der Bundeswirtschaftsminister dann noch einen bedeutend angenehmeren Termin: Er spricht im Cubix-Kino am Alexanderplatz zum hundertjährigen Jubiläum der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. In seiner Rede lobt er insbesondere Dokumentarfilme: Sie leisteten einen Beitrag für den Erhalt unserer Staatsform, seien „Schwert und Schild der liberalen Demokratie“. So schön und kraftvoll Habecks Worte klingen – am Abend dieses historischen Tages kann man durchaus auf den Gedanken kommen, aus seinen lobenden Worten über die Filmwirtschaft auch ein klein wenig Karlsruhe-Kritik herauszuhören. So als wäre ihm, der die Schärfe des verfassungsrechtlichen Schwerts gerade am eigenen Leib zu spüren bekommt, der Verweis auf die Schutzfunktion durch eine filmische Judikative ein besonderes Anliegen.