Zwischen den beiden jüngsten Einlassungen der Harvard University zu der Causa Claudine Gay liegen drei Wochen und eine Kehrtwende. Mitte Dezember ließ das Leitungsgremium der Eliteuniversität wissen, man stehe in diesen schwierigen Zeiten geschlossen an der Seite der Universitätspräsidentin. In dieser Woche war der Ton sachlicher. „Aktuelle Informationen zur Führung der Harvard-Universität“ vermeldeten den Rücktritt der erst im Juli in das Präsidentenamt eingeführten Politikwissenschaftlerin.

Für viele war das nach einem Monat heftiger Kritik der einzig mögliche Schritt. Seit Gay vor dem Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses Rede und Antwort gestanden hat, sind Videos ihres Auftritts Hunderttausende Male abgerufen worden. Ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen Verhaltensregeln der Universität verstoße, wollte damals die Republikanerin Elise Stefanik wissen. Das hänge vom Kontext ab, antwortete Gay. Die Ja-oder-Nein-Antwort verweigerte die Präsidentin auch auf Nachfrage. Gleiches galt für die Präsidentinnen der University of Pennsylvania und des Massachusetts Institute of Technology (MIT); Erstere trat wenige Tage später zurück.

Mehr zum Thema

1/

Nach Wochen der Kritik : Harvard-Präsidentin Claudine Gay zurückgetreten

Nach Antisemitismus-Anhörung : Harvard Corporation stärkt Präsidentin Claudine Gay den Rücken

US-Universitäten : Der Antisemitismus der künftigen Elite

Dass es auf diese Frage nur eine richtige Antwort hätten geben können, versteht sich. Denn wie auf dem Gelände vieler amerikanischer Eliteuniversitäten, so ist es seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel auch in Harvard vermehrt zu antisemitischen Vorfällen gekommen. Und so ist der Fall gleich in mehrerer Hinsicht fatal: Er ist fatal, weil jüdische Studenten sich damit noch mehr als ohnehin von Universitätsleitungen und Professoren verlassen fühlen. Er ist fatal, weil die drei Frauen, anstatt Mitgefühl, gesunden Menschenverstand und Rückgrat zu zeigen, verklausulierte, vermeintlich juristisch korrekte Antworten gaben. Und der Fall ist fatal, weil er das ohnehin vergiftete gesellschaftliche Klima noch weiter zersetzt.

Ursprünglich ging es um die Frage, warum viele Universitäten nach dem 7. Oktober gezögert hätten, Terror und Antisemitismus eindeutig zu verurteilen. Daraus wurde der nächste Schauplatz des amerikanischen Kulturkampfs. Viele Konservative nutzten die Gelegenheit für einen Rundumschlag gegen das „woke“ Harvard und andere Eliteuniversitäten. Diese seien in Dauersorge um Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion, nicht aber um ihre jüdischen Studenten. Die Harvard-Präsidentin, die bei ihrem Amtsantritt den Kampf gegen Diskriminierung zu ihrem Schwerpunkt erklärt hatte, brauchte quälend lang für eine angemessene Antwort.

Bald wurden Zweifel an der akademischen Exzellenz Claudine Gays gestreut. Eine unabhängige Untersuchung sprach sie von wissenschaftlichem Fehlverhalten frei, doch nach Plagiatsvorwürfen ergänzte Gay einige Veröffentlichungen um Zitate. Das wiederum führte zu dem Vorwurf, Harvard-Studenten und -Präsidentin würden mit zweierlei Maß gemessen. Rechte Aufwiegler behaupteten, Gay sei nur wegen ihrer nicht weißen Hautfarbe in das Amt gekommen.

Nach ihrem Rücktritt ging die Harvard-Präsidentin zum Gegenangriff über. Sie habe Fehler im Umgang mit dem Krieg in Israel und Antisemitismus auf dem Campus gemacht, schrieb sie in der „New York Times“. Doch „Demagogen“ hätten sie als Waffe gegen die Universität eingesetzt. Es sei nur „ein einzelnes Scharmützel in einem umfassenderen Krieg“ gewesen, in dem das Vertrauen der Amerikaner in das Bildungswesen untergraben werden solle. Gay als Opfer eines Feldzugs gegen „zu liberale“ Universitäten – das ist das, was viele Linke hören wollen.

Gays Antwort auf Stefaniks Frage nach dem Aufruf zum Völkermord an den Juden klang ungeheuerlich. Mit dem Verweis auf den „Kontext“ bezog sich die Präsidentin auf den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung: das Recht auf freie Meinungsäußerung. Demnach sind Aussagen erst strafbar, wenn sie mit einem Angriff auf konkrete Personen verbunden sind. Gay hätte trotzdem niemals so antworten dürfen. Sie ist in die Falle der Trumpisten getappt.

Stefanik wähnt sich bei alldem im Kampf gegen Antisemitismus. Doch ihre parteipolitischen Beweggründe sind offenkundig. „Two down“ (Zwei abgeschossen) schrieb sie nach dem Rücktritt Gays. Das Ganze sei erst die „Spitze des Eisbergs“. Vor drei Jahren war die Republikanerin mit ihrer Alma Mater aneinandergeraten: Weil sie Trumps Behauptungen unterstützte, man habe ihm die Wahl gestohlen, musste sie ein Beratungsgremium verlassen.

Wie so häufig in der amerikanischen politischen Debatte haben sich die meisten Beteiligten mittlerweile wieder in ihre jeweiligen Echokammern verzogen. Vom rechten Flügel der Republikaner sind die Amerikaner das gewöhnt. Doch Harvard muss sich an den eigenen Standards messen lassen, darunter Offenheit und Wahrheit, wie Gay zu ihrem Abschied hervorhob.

QOSHE - Es müsste um Antisemitismus gehen - Sofia Dreisbach
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Es müsste um Antisemitismus gehen

12 22
05.01.2024

Zwischen den beiden jüngsten Einlassungen der Harvard University zu der Causa Claudine Gay liegen drei Wochen und eine Kehrtwende. Mitte Dezember ließ das Leitungsgremium der Eliteuniversität wissen, man stehe in diesen schwierigen Zeiten geschlossen an der Seite der Universitätspräsidentin. In dieser Woche war der Ton sachlicher. „Aktuelle Informationen zur Führung der Harvard-Universität“ vermeldeten den Rücktritt der erst im Juli in das Präsidentenamt eingeführten Politikwissenschaftlerin.

Für viele war das nach einem Monat heftiger Kritik der einzig mögliche Schritt. Seit Gay vor dem Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses Rede und Antwort gestanden hat, sind Videos ihres Auftritts Hunderttausende Male abgerufen worden. Ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen Verhaltensregeln der Universität verstoße, wollte damals die Republikanerin Elise Stefanik wissen. Das hänge vom Kontext ab, antwortete Gay. Die Ja-oder-Nein-Antwort verweigerte die Präsidentin auch auf Nachfrage. Gleiches galt für die Präsidentinnen der University of Pennsylvania und des Massachusetts Institute of Technology (MIT); Erstere trat wenige Tage später zurück.

Mehr zum Thema

1/

Nach Wochen der Kritik : Harvard-Präsidentin........

© Frankfurter Allgemeine


Get it on Google Play