Ein bisschen Schwund ist immer. Auch wenn jeder wissen sollte, dass schon die unerlaubt privat verwendete Briefmarke zur fristlosen Kündigung führen kann, ist es doch gang und gäbe, dass gestohlen wird in den Unternehmen. Mal ein Packen Kopierpapier hier, mal ein Werkzeugkasten dort, immer wieder auch Produkte aus der eigenen Fabrik.

Einen Fall wie Aurubis aber hat man wohl selten gesehen: allein im vergangenen Geschäftsjahr hat die Kupferhütte 169 Millionen Euro Schaden aus Diebstahl und Betrug verbucht. Das ist ein so herber Schlag, dass natürlich Konsequenzen gezogen werden müssen, auch auf der Top-Ebene. Der Aufsichtsrat hat sich Zeit damit gelassen.

Das hat gute Gründe, denn es ist noch längst nicht aufgeklärt, was bei Aurubis alles im Argen liegt. Der großangelegte Betrug mit gefälschten Proben von Recycling-Material funktionierte wohl deshalb, weil die Lieferungen letztlich auf einem riesigen Haufen Altmetall landeten, sodass man gar nicht mehr so ohne Weiteres merkte, wenn der angegebene Wert einer Lieferung nicht stimmte.

„Gelegenheit macht Diebe“ sagt der Volksmund nicht von ungefähr. Bevor Mitarbeiter zu Tätern werden, müssen sie eine Möglichkeit erkennen. Insofern muss sich der Aurubis-Vorstand fragen lassen, ob denn genug dafür getan wurde, solche Gelegenheiten gar nicht erst entstehen (und erkennbar werden) zu lassen. Das gilt für den Produktionsvorstand ebenso wie für den Finanzchef, dessen Risikomanagement offenbar so löchrig war, dass riesige Fehlbeträge nicht frühzeitig erkannt wurden. Dass auch Vorstandschef Roland Harings gehen muss, folgt der gleichen Logik.

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Er trägt die Gesamtverantwortung und sollte besondere Sorgfalt walten lassen. Dabei fällt auf, dass Aurubis vergangenes Jahr auch Opfer eines Cyberangriffs wurde und dass bei einem Betriebsunfall drei Mitarbeiter starben. Harings hatte sich zuvor als erfolgreicher Vorstandschef feiern lassen, der beherzt große Investitionen für ein weiteres ertragreiches Wachstum in Angriff nimmt.

Jetzt sieht es danach aus, als sei er zu sehr auf dieses Ziel fokussiert gewesen und habe die Basis aus den Augen verloren. Das Wort Unternehmenskultur mag ungeheuer altmodisch klingen. Aber klar ist: Wo Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen identifizieren, werden Missstände viel schneller offenbar als dort, wo Gleichgültigkeit, Frust oder sogar Aggressivität die Grundstimmung kennzeichnen.

QOSHE - Werte gegen Diebe - Susanne Preuß, Hamburg
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Werte gegen Diebe

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24.01.2024

Ein bisschen Schwund ist immer. Auch wenn jeder wissen sollte, dass schon die unerlaubt privat verwendete Briefmarke zur fristlosen Kündigung führen kann, ist es doch gang und gäbe, dass gestohlen wird in den Unternehmen. Mal ein Packen Kopierpapier hier, mal ein Werkzeugkasten dort, immer wieder auch Produkte aus der eigenen Fabrik.

Einen Fall wie Aurubis aber hat man wohl selten gesehen: allein im vergangenen Geschäftsjahr hat die Kupferhütte 169 Millionen Euro Schaden aus Diebstahl und Betrug verbucht. Das ist ein so herber Schlag, dass natürlich Konsequenzen gezogen werden müssen, auch auf der Top-Ebene. Der Aufsichtsrat hat sich Zeit........

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