Alle Jahre wieder wird auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt vieles im Überfluss geboten: Glühwein, Mandeln, Püppchen und Selbstlob. Für die kulinarischen Köstlichkeiten und den Krimskrams sind rund um den Römerberg die Budenbetreiber zuständig, das Selbstlob kommt von denen, die drinnen sitzen im Römer, also den Stadtoberen.

Denen kam vor Jahren die Idee, die Glühweintassen auf dem Weihnachtsmarkt nicht nur mit Sternchen, Christkindchen und markanten Gebäuden Frankfurts zu verzieren, sondern auch mit einem Prädikat für die Stadt am Main. Los ging’s 2015 mit dem Tassenmotto „Stadt der Museen“, ein Jahr später schon wurde Frankfurt als „Stadt des Sports“ gepriesen. Es folgten: Musik, Könige und Kaiser, Theater, Feste und Demokratie.

Diesmal geht’s auf dem Weihnachtsmarkt wieder um den Sport, die mattschwarze Tasse mit den güldenen Verzierungen und dem kickenden Christkind drauf steht im Zeichen der „Stadt des Fußballs“. Gehen wir mal davon aus, dass die für den Weihnachtsmarkt zuständige städtische Tourismus+Congress GmbH alle Tassen im Schrank hat.

Nun könnte man sagen: Wen juckt die Tasse, solange der Glühwein heiß ist und schmeckt? Folgt man aber dem längst verstorbenen französischen Denker Roland Barthes, kann eine Weihnachtsmarkttasse zu den „Mythen des Alltags“ gezählt werden, da sie wie ein „Mitteilungssystem“ wirkt und eine Botschaft bezeichnet. Prüfen wir also die These der Tasse 2023. Es geht um Fußball. Ob das eine gute Idee ist?

Zugegeben, die Bezeichnung liest sich besser als „Stadt der Verkehrspolitik“, „Stadt des Bahnhofsviertels“ oder „Stadt des geschassten Oberbürgermeisters“, die allesamt eher ungute Assoziationen wecken. König Fußball geht immer, und das Rhein-Main-Gebiet hat ungefähr eine Million Bundes- und Eintracht-Trainer, die sich als Gäste willkommen fühlen sollen, mögen sich die Stadtvermarkter gedacht haben, als sie das Eigenlob ausbaldowerten.

Doch mal abgesehen davon, dass sich die Heimat jedes Kreisklassenklubs zur Stadt des Fußball hochjazzen kann; und mal abgesehen von der Frage, ob so ein besonderer Titel nicht einer anderen Stadt mehr gebührte wie Braunschweig, wo erstmals auf deutschem Boden der „Fußlümmelei“ nachgegangen wurde, oder wie Leipzig, woher der erste deutsche Fußballmeister stammt, oder München, das den Rekordtitelträger stellt, oder Dortmund, wo das deutsche Fußballmuseum seinen Platz hat. Also abgesehen von allem spielt auch in Frankfurt der Fußball eine gewisse Rolle, im Guten wie im nicht so Guten.

Da ist einerseits die Eintracht, die Frankfurt beglückt. DFB-Pokalsieger, Europa-League-Sieger, Champions-League-Teilnehmer, die Stadt hat dank der Eintracht zuletzt sportlich tolle Jahre erlebt, auch wenn nun das Aus im DFB-Pokal gegen den Drittligaklub Saarbrücken verdaut werden muss. Ehre, wem Ehre gebührt, darum dreht sich auf dem Weihnachtsmarkt vieles um die Eintracht. Da ist zum einen Sonny, die Weihnachtsfichte, die nicht nur vom Verein gesponsert wurde, sondern ihren Namen in Erinnerung an den langjährigen Eintracht-Fan Helmut Sonneberg trägt, der den Holocaust überlebte und im vergangenen Februar mit 91 Jahren starb.

Auf der Weihnachtsmarkttasse wird die Verbundenheit der Stadt des Fußballs mit ihrer Eintracht weniger opulent gewürdigt, auf der Innenseite und eher symbolisch: mit einem Spielfeld, einem Herzchen, einem Fußball und dem Motto „Im Herzen von Europa“. Ist die Tasse randvoll, ist von dem Eintracht-Bekenntnis wenig zu sehen. Man kann es auch nicht erkennen, wenn jemand genau an der Stelle zu süffeln beginnt. Nun gut, letzteres könnte man auch so deuten: Die Eintracht ist in aller Munde.

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Ohne allen Fans von Eintracht und Weihnacht das Fest verhageln zu wollen: Würde „Problemstadt des Fußballs“ auf den Tassen stehen, wäre es zwar marketingmäßig ein Eigentor, aber nicht falsch. Die Eintracht-Ultras mögen ob ihrer Stimmungsmache im Stadion zwar im Verein und dessen Führung wohlgelitten sein; unparteiische Beobachter sowie die Sicherheitskräfte aller Art bekommen angesichts der brutalen Energie vieler Ultras und Hooligans das Grausen.

Vergleichsweise harmlos muten dagegen die Probleme an, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in seinem Sitz in Niederrad schafft und die ihm zu schaffen machen. Schicker Campus, nix dahinter, kommt einem in den Sinn, wenn man auf die vorwiegend freudlosen Auftritte der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren unter drei verschiedenen Trainern zurückblickt. Mit dem DFB-Campus als bedeutendem Teil der Stadt des Fußballs ist momentan kaum Staat zu machen; die U-17-Weltmeister mal ausgenommen, zumindest bis auf weiteres.

Bleibt zu hoffen, dass nun die Nagelsmannschaft die Kurve kriegt, damit Frankfurt am 23. Juni 2024 nicht auch noch zum Waterloo des deutschen Fußballs wird. Denn an diesem Tag empfangen Kevin Trapp und die anderen DFB-Kicker draußen im Stadtwald die Schweiz zum letzten Spiel der EM-Gruppe A. Wird schon schiefgehen.

Überhaupt ist die Europameisterschaft ja die eigentliche Botschaft der Tasse: Die markanten Gebäude, vor denen ein Fußball wie drapiert liegt (oder auf dem Main schwimmt?), sollen die bedeutende Rolle Frankfurts im Turnier hervorheben. Oder, um es im Römer-Denglisch zu sagen: „Als Host City der EURO 2024 wird Frankfurt am Main den Fußball feiern.“ Darauf einen Glühwein, gemäß des Mottos des legendären Fußballstürmers Adi Preißler: „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ inner Tasse.“

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Frankfurt, Stadt des Fußballs?

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07.12.2023

Alle Jahre wieder wird auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt vieles im Überfluss geboten: Glühwein, Mandeln, Püppchen und Selbstlob. Für die kulinarischen Köstlichkeiten und den Krimskrams sind rund um den Römerberg die Budenbetreiber zuständig, das Selbstlob kommt von denen, die drinnen sitzen im Römer, also den Stadtoberen.

Denen kam vor Jahren die Idee, die Glühweintassen auf dem Weihnachtsmarkt nicht nur mit Sternchen, Christkindchen und markanten Gebäuden Frankfurts zu verzieren, sondern auch mit einem Prädikat für die Stadt am Main. Los ging’s 2015 mit dem Tassenmotto „Stadt der Museen“, ein Jahr später schon wurde Frankfurt als „Stadt des Sports“ gepriesen. Es folgten: Musik, Könige und Kaiser, Theater, Feste und Demokratie.

Diesmal geht’s auf dem Weihnachtsmarkt wieder um den Sport, die mattschwarze Tasse mit den güldenen Verzierungen und dem kickenden Christkind drauf steht im Zeichen der „Stadt des Fußballs“. Gehen wir mal davon aus, dass die für den Weihnachtsmarkt zuständige städtische Tourismus Congress GmbH alle Tassen im Schrank hat.

Nun könnte man sagen: Wen juckt die Tasse, solange der Glühwein heiß ist und schmeckt? Folgt man aber dem längst verstorbenen französischen Denker Roland Barthes, kann eine Weihnachtsmarkttasse zu den „Mythen des Alltags“ gezählt werden, da sie wie ein „Mitteilungssystem“ wirkt und eine Botschaft bezeichnet. Prüfen wir also........

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