Seit dem Holocaust hat der Antisemitismus in Deutschland sein Gesicht verändert. Außer in einschlägigen Milieus wird er nicht mehr direkt, sondern im vornehmen Gewand der „Israelkritik“ verbreitet. Gerade das Kulturmilieu hat darin Übung. Manches lässt sich leicht als Judenhass erkennen wie der Vorwurf des Kindermords oder der Brunnenvergiftung, anderes liegt in einer Grauzone, über wieder anderes lässt sich streiten.

Welchem Künstler und welcher Kulturinstitution fiele es also schwer, unter seinem Förderantrag bei der Berliner Kulturverwaltung das Bekenntnis gegen Antisemitismus zu verweigern, das der Berliner Kultursenator Joe Chialo vorgegeben hatl? Selbst die schlimmsten Antisemiten aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft haben kein Problem damit, vormittags ein muslimisch-jüdisches Kulturprojekt vorzustellen und nachmittags einen Hassprediger einzuladen, der Juden zum Teufel wünscht. Auch in den Kreisen, die Juden unter antiimperialistischen, postkolonialen oder postmodernen Vorzeichen anfeinden, pflegt man keine offene Gegnerschaft. Man lässt den Antisemitismus im breiten Bauch des Anti-Rassismus-Kampfes verschwinden und solidarisiert sich mit den Gegnern. Und schließlich waren die Künstler, die auf der Documenta antisemitische Kunstwerke ausstellten, oft gar nicht der Meinung, dass es sich um solche handelte.

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Chialo legt allerdings die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance als Maßstab an, die auch den israelbezogenen Antisemitismus erfasst, also die Dämonisierung des Staates Israels, die Messung an Doppelstandards und die Aberkennungs seines Existenzrecht. Das dürfte manchen Kulturinstitutionen nicht gefallen, die sich Doppelstandards zu eigen machen oder gern Künstler einladen, die NS-Vergleiche zu ihrem Repertoire zählen. Außerdem soll die Klausel verhindern, dass Geld in terroristische und extremistische Kanäle fließt. Die zeitweise populäre Vorstellung, man müsse Extremismus mit gemäßigten Varianten des Extremismus bekämpfen, hat dazu geführt, dass Fördergelder an dubiose Projekte flossen, teils soll sogar die Hamas davon profitiert haben.

Fraglos reagiert Chialo auf ein Problem, und vielleicht macht die Klausel rechtliche Sanktionen bei Regelbrüchen leichter. Das Unbehagliche ist, dass sie an eine Bekenntniskultur anknüpft, die Künstler unter den Zwang setzt, sich ständig zu positionieren, was in anderer Richtung schon zu vielen kenntnislosen Kommentaren über den Nahostkonflikt beigetragen hat. Sie macht Vorgaben, die sich von selbst verstehen, und am Ende doch nur am Ergebnis geprüft werden können.

QOSHE - Mit Klauseln gegen den Antisemitismus - Thomas Thiel
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Mit Klauseln gegen den Antisemitismus

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05.01.2024

Seit dem Holocaust hat der Antisemitismus in Deutschland sein Gesicht verändert. Außer in einschlägigen Milieus wird er nicht mehr direkt, sondern im vornehmen Gewand der „Israelkritik“ verbreitet. Gerade das Kulturmilieu hat darin Übung. Manches lässt sich leicht als Judenhass erkennen wie der Vorwurf des Kindermords oder der Brunnenvergiftung, anderes liegt in einer Grauzone, über wieder anderes lässt sich streiten.

Welchem Künstler und welcher Kulturinstitution fiele es also schwer, unter seinem Förderantrag bei der Berliner Kulturverwaltung das Bekenntnis gegen Antisemitismus zu verweigern, das der Berliner Kultursenator Joe Chialo vorgegeben hatl? Selbst die schlimmsten........

© Frankfurter Allgemeine


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