Wer in Deutschland Professor werden möchte, sollte sich das vorher gut überlegen. Schon Max Weber sprach mit Blick auf die Unwägbarkeiten einer akademischen Laufbahn vom „wilden Hazard“. Das war lange vor der Zeit, als Wissenschaftspolitiker auf die Idee kamen, Hochschulen wie Unternehmen zu behandeln und zur Förderung des Wettbewerbs ein Heer von fast zweihunderttausend sogenannten Nachwuchswissenschaftlern heranzubilden, die wenige Professuren unter sich ausmachen dürfen. Der Weg zur Professur wird heute als so beschwerlich empfunden, dass mehr als zwei Drittel der Wissenschaftler den Ausstieg erwägen, wie das Wissenschaftsbarometer kürzlich zeigte. Er ist mit Kettenverträgen, Umzugskisten und aufgeschobenen Familienplänen gepflastert. Und mit schlechter Wissenschaft, weil sich dauerabhängige Forscher mit originellen Gedanken zurückhalten.

Niemand erwartet von der laufenden Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, dieses Problem im Alleingang zu lösen. Das Gesetz kann Mindeststandards setzen und den Exzess begrenzen. Wie man das nicht tut, zeigte der erste Entwurf des Bundesforschungsministeriums, der nach einem Aufschrei aus der Wissenschaft zurückgezogen wurde. Über den neuen Entwurf wurde zwischen den Ministerien so lange verhandelt, dass man schon nicht mehr an den Abschluss glaubte. Überraschend meldet das Bundesforschungsministerium nun, man habe sich in der Bundesregierung geeinigt und werde den Entwurf in Kürze im Kabinett verabschieden. Im Kern sieht er weiter vor, dass Wissenschaftler nach der Promotion nur noch vier statt bislang sechs Jahre befristet beschäftigt und weitere Fristverträge nur noch mit verbindlicher Anschlusszusage vergeben werden dürfen. Dem fehlt in den Fraktionen der Segen der Koalitionspartner, die auf eine frühere Festlegung drängen. Ihnen will man mit einer Erweiterung der Tarifklausel in der Postdoc-Phase entgegenkommen.

QOSHE - Reform mit Nebenwirkungen - Thomas Thiel
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Reform mit Nebenwirkungen

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12.03.2024

Wer in Deutschland Professor werden möchte, sollte sich das vorher gut überlegen. Schon Max Weber sprach mit Blick auf die Unwägbarkeiten einer akademischen Laufbahn vom „wilden Hazard“. Das war lange vor der Zeit, als Wissenschaftspolitiker auf die Idee kamen, Hochschulen wie Unternehmen zu behandeln und zur Förderung des Wettbewerbs ein Heer von fast zweihunderttausend sogenannten Nachwuchswissenschaftlern heranzubilden, die wenige Professuren unter sich........

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