Die Wahl zu haben ist gut – eine Auswahl zu haben ist bedeutend besser. Das gilt auch in Städten und Gemeinden. Denn Wahlen sind für eine Demokratie zwar grundlegend, aber nicht hinreichend. Demokratie ist kein Funktionsgebilde, sondern sie speist sich aus gelebten Werten. Dazu gehört der tägliche Meinungsstreit, der sich bei Wahlen in mehr als einem Bewerber ausdrücken sollte.

Als Wähler hat etwa der im Mai im Amt bestätigte Bürgermeister von Bad Nauheim nach eigenen Worten gerne die Auswahl – die Wähler in der Kurstadt hatten sie bei seiner Wiederwahl nicht. Das war nicht dem Amtsinhaber anzulasten, aber ein Mangel. Denn Konkurrenz belebt das politische Geschäft. Insofern ist es ein beunruhigendes Signal, wenn im ländlichen Raum die Tendenz zu Sololäufen von Bewerbern geht.

Das mag in dem ein oder anderen Fall an der für eine Mehrheit überzeugenden Arbeit des Amtsinhabers liegen. In solchen Fällen mögen mögliche andere Bewerber vor einer Kandidatur zurückschrecken, zumal ein monatelanger Wahlkampf neben dem Beruf kräftezehrend ist und auch noch eigenes Geld kostet bei unsicherem Ertrag.

Dessen ungeachtet schrecken selbst engagierte Kommunalpolitiker vor einer Kandidatur zurück, weil der Ton rauer geworden ist. Es gibt einerseits Stimmen, die sagen, früher sei der Umgang schlimmer gewesen – doch jeder hat eine eigene Lebenswirklichkeit. Und wer mag sich schon gerne im Zweifel von Bürgern mit wenig Ahnung für seine Arbeit beschimpfen lassen oder gar für seine Kandidatur?

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Dann wäre da noch ein finanzieller Grund: Anders als früher kann ein Bürgermeister erst nach acht Jahren im Amt ein Ruhestandsgehalt beziehen, und dies auch nur, wenn er das 55. Lebensjahr vollendet hat. Wer nach sechs Jahren abgewählt wird oder nicht wieder antritt, steht finanziell klar schlechter da. Dass ein Rückkehrrecht in den früheren Beruf nur für Beamte und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes verbrieft ist, dürfte Angehörige anderer Berufe ebenfalls kaum zu einer Kandidatur ermuntern. Falls die Tendenz zu Sololäufen anhält, sollte der Gesetzgeber bürokratische Hürden senken.

QOSHE - Ein beunruhigendes Signal - Thorsten Winter
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Ein beunruhigendes Signal

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06.01.2024

Die Wahl zu haben ist gut – eine Auswahl zu haben ist bedeutend besser. Das gilt auch in Städten und Gemeinden. Denn Wahlen sind für eine Demokratie zwar grundlegend, aber nicht hinreichend. Demokratie ist kein Funktionsgebilde, sondern sie speist sich aus gelebten Werten. Dazu gehört der tägliche Meinungsstreit, der sich bei Wahlen in mehr als einem Bewerber ausdrücken sollte.

Als Wähler hat etwa der im Mai im Amt bestätigte Bürgermeister von Bad Nauheim nach eigenen Worten gerne die Auswahl – die Wähler in der Kurstadt hatten sie bei seiner........

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