Die Stadt Gießen verkauft ihre aus der Pleite der privaten Greensill-Bank folgenden Forderungen an nicht näher genannte Investoren. Ist sie sinnbildlich mit zwei blauen Augen davongekommen oder weist sie Blutergüsse am ganzen Körper auf? Die Antwort ist eine Frage des Standpunkts. Die nackten Zahlen sehen so aus: Der Verkauf an einen mutmaßlichen Finanzinvestor ist mit einem Erlös von 2,8 Millionen Euro verbunden. Das sind 28 Prozent der von der Stadt bei der Greensill in der Minuszins-Phase angelegten Summe.

Das klingt nicht nach viel. Die Quote liegt aber immerhin etwas über der von den Stadtverordneten gezogenen Untergrenze von 25 Prozent. Hinzu kommt: Das Geld hat der Käufer der Stadt schon überwiesen. Nun kann die Kämmerei das Kapitel Greensill schließen.

Politisch lässt es sich kaum noch ausschlachten. Besserwisserei verbietet sich, zumal Gießen längst nicht die einzige Kommune war, die ihr Geld dem im März 2021 von der Bankenaufsicht geschlossenen Kreditinstitut anvertraut hatte. Unter anderem Eschborn, Schwalbach und Wiesbaden gehören in Hessen ebenfalls zu diesem Kreis. Sie hatten bei der Suche nach wenigstens etwas Ertrag auf das Greensill-Angebot zurückgegriffen und hofften auf risikoarme Zinsen. Die Offerte entpuppte sich aber als fast zinsloses Risiko. Doch war das nicht vorhersehbar, auch wenn klar sein muss: Je mehr sich der gebotene Zins vom Mittelwert am Markt entfernt, desto höher liegt das Risiko. Allerdings mündet dies nur selten in einem Ausfall. Das lehrt der Anleihenmarkt, auf dem als „Ramsch“ bezeichnete Hochzinspapiere eine feste Größe darstellen.

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Dessen ungeachtet ist das Kapitel Greensill für Gießen ärgerlicher als etwa für Eschborn. Erst 2019 war die Stadt unter dem Schutzschirm des Landes hervorgekrochen. Mit rund 110 Millionen Euro half das Land der Kommune. Die Kommunalaufsicht hat ein besonders wachsames Auge auf ihr Finanzgebaren. So sind die freiwilligen Leistungen gedeckelt. zum Leidwesen von Kultur, Sport- und Sozialvereinen.

Eines ist schon klar: Selbst wenn es noch einmal eine Minuszins-Phase geben sollte, wird Gießen nicht abermals einen solchen Fall wie Greensill erleben. Die als Reaktion auf das Fiasko geänderten Anlagerichtlinien der Stadt erlauben nur noch Geldanlagen bei der Deutschen Bundesbank, Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Kreditinstituten, die Mitglied im Einlagensicherungsfonds des Verbands öffentlicher Banken sind. Langweiliger geht es kaum. Aber das ist eben der Preis der Sicherheit.

QOSHE - Teure Lehre aus der Greensill-Pleite - Thorsten Winter
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Teure Lehre aus der Greensill-Pleite

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29.03.2024

Die Stadt Gießen verkauft ihre aus der Pleite der privaten Greensill-Bank folgenden Forderungen an nicht näher genannte Investoren. Ist sie sinnbildlich mit zwei blauen Augen davongekommen oder weist sie Blutergüsse am ganzen Körper auf? Die Antwort ist eine Frage des Standpunkts. Die nackten Zahlen sehen so aus: Der Verkauf an einen mutmaßlichen Finanzinvestor ist mit einem Erlös von 2,8 Millionen Euro verbunden. Das sind 28 Prozent der von der Stadt bei der Greensill in der Minuszins-Phase angelegten Summe.

Das klingt nicht nach viel. Die Quote liegt aber immerhin etwas über der von den Stadtverordneten gezogenen Untergrenze von 25 Prozent. Hinzu kommt: Das Geld hat der........

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