Haben Sie auch ein ganz eigenes Verhältnis zum Amtsdeutsch? Und fühlen sich bisweilen hilflos angesichts einer Zuschrift aus einem x-beliebigen Amt? So wie die junge Frau aus Syrien, dem Verfasser bekannt, die Post von einer Behörde bekam. Die das Schriftstück las und nichts verstand. Nicht weil sie jemand wäre, der noch neu ist im Land oder keine nennenswerte Schulbildung hat, im Gegenteil. Die Frau ist auf Zack, verdient ihr Geld längst selbst, spricht sehr gut Deutsch mit minimalem Akzent. In ihrer Ratlosigkeit zeigte sie das Schreiben einem in Rechts­wissenschaften geschulten Kollegen, und der habe gesagt: „Du, ich versteh das auch nicht.“

Oder die Frau, die aus dem Vertrieb einer Firma in ein Amt wechselte. Sie schrieb einen verständ­lichen Text, vom Dank ihres Vorgesetzten berichtet sie, dass dieser das Fehlen typischer Satzbauten moniert habe. Es kommt einem Reinhard Mey in den Sinn mit seiner Weisheit: „Mein Verhältnis zu Behörden/war nicht immer ungetrübt/was allein nur daran lag/dass man nicht kann, was man nicht übt.“ Nun ist geteiltes Leid zwar halbes Leid, aber Leid bleibt Leid. Und schon Helmut Schmidt war es ehedem leid: Zu entnehmen dem in diesen Tagen wegen des 100. Geburtstags von Loriot wieder beliebten Clip des Humor-Großmeisters, in dem sich der damalige Bundeskanzler über seine Wasserrechnung erregt.

Die Worte des Sängers wie die verbriefte Kanzlerwut wurden in den Siebzigerjahren geäußert. Und was haben die Ämter seitdem gelernt? Wer jetzt lauthals „Nix!“ wettert: Der liegt verkehrt. Beweis gefällig? Längst bietet nicht nur mehr das sehr bunte Offenbach auf seiner Internetseite an herausgehobenem Platz einen schönen Service an: „Leichte Sprache“. Wer da draufklickt, entdeckt eine neue Behördenwelt, mit schlanken Sätzen und klaren Worten. Und denkt sich: Geht doch !

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Es könnte also alles so einfach sein. Ist es aber nicht. Im Lichte ihres eigenen Angebots müsste doch eigentlich jede Stadt, die Texte in leichter Sprache anbietet, diese zum Standard in ihrer Kommunikation machen. Alles andere könnte sie ja unter dem Button „Behördendeutsch“ anbieten. Irgendwer wird es schon anklicken. Und seien es nur Bürokraten. Oder Masochisten.

QOSHE - Weg mit dem Behördendeutsch - Thorsten Winter
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Weg mit dem Behördendeutsch

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19.12.2023

Haben Sie auch ein ganz eigenes Verhältnis zum Amtsdeutsch? Und fühlen sich bisweilen hilflos angesichts einer Zuschrift aus einem x-beliebigen Amt? So wie die junge Frau aus Syrien, dem Verfasser bekannt, die Post von einer Behörde bekam. Die das Schriftstück las und nichts verstand. Nicht weil sie jemand wäre, der noch neu ist im Land oder keine nennenswerte Schulbildung hat, im Gegenteil. Die Frau ist auf Zack, verdient ihr Geld längst selbst, spricht sehr gut Deutsch mit minimalem Akzent. In ihrer Ratlosigkeit zeigte sie das Schreiben einem in Rechts­wissenschaften........

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