Am 12. Mai 1898, gut vier Monate vor seinem Tod, schreibt der achtundsiebzigjährige Theodor Fontane dem Kant-Biographen Friedrich Paulsen einen Brief. Darin spricht er von einem „Volk, dem von Uranfang an etwas dünkelhaftes Niedriges anhaftet, mit dem sich die arische Welt nun mal nicht vertragen“ könne – Fontane meint die Juden.

Es ist nicht die einzige grotesk antisemitische Bemerkung, die von ihm in privaten Äußerungen überliefert ist. Er spricht mit Blick auf Juden etwa von „frechen, unschönen Gaunergesichtern“ und dergleichen mehr. Aber ihren vollen Irrsinn offenbart der Nachsatz, der diese Stelle im Brief an Paulsen begleitet: „All das sage ich (muss es sagen) der ich persönlich von den Juden bis diesen Tag nur Gutes erfahren habe.“

Einen „Antisemiten mit schlechtem Gewissen“ nennt der Literaturwissenschaftler Norbert Mecklenburg den Gegenstand seiner 2018 erschienenen Fontane-Studie, mit guten Argumenten, darunter auch dem Blick auf Fontanes Veröffentlichungsstrategie solcher Äußerungen, die sich in seinem umfangreichen literarischen Werk weit weniger finden als im Privaten, auch weniger direkt und oft genug als Figurenrede eher bornierter Protagonisten.

Es bleibt freilich der atemberaubende Umstand, dass Fontane seiner persönlichen Erfahrung mit „den Juden“ eine so komplett andere Sicht auf dieselben Menschen als Gruppe gegenüberstellt und dass er diesen Widerspruch deutlich sieht, ohne sein harsches Urteil zu revidieren. Mehr noch: dass er sich geradezu gezwungen sieht – er „muss es sagen“ –, seine durchweg positiven Erlebnisse mit Juden zu erwähnen und damit die eigene pauschale Behauptung als den Unsinn zu entlarven, der sie ist.

Wo kommt der her? Wie hält man einen solchen Widerspruch zwischen Weltbild und Erfahrung aus, zumal wenn man ihn sich schreibend klarmacht, und sei es als Brief? Wie bringt man umgekehrt als Leser den Romanautor der virtuosen Vielstimmigkeit mit dem Verfasser solcher Briefe zusammen? Die „Grüne Jugend Hessen“ hält sich nicht groß mit solchen Fragen auf, auch nicht mit Ambivalenzen. Frankfurter Straßenschilder, die auf Autoren wie Jahn, Arndt oder eben Fontane verweisen, die Komponisten wie Wagner oder Strauss ehren, wurden von ihr jetzt mit zusätzlichen Schildern versehen, auf denen „Diese Straße ist nach einem Antisemiten benannt“ steht.

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Das stimmt, auch wenn Fontanes Antisemitismus sicherlich nicht der Grund für seine Ehrung gewesen ist. So wünscht man sich weitere Schilder, auf denen untereinander „Effi Briest“, „Irrungen, Wirrungen“ oder „Der Stechlin“ steht, damit die Debatte, an wen wir denken, wenn wir in die Fontanestraße einbiegen, nicht gar so schnell am literarischen Werk des Autors vorübergeht.

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Antisemit mit schlechtem Gewissen

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07.03.2024

Am 12. Mai 1898, gut vier Monate vor seinem Tod, schreibt der achtundsiebzigjährige Theodor Fontane dem Kant-Biographen Friedrich Paulsen einen Brief. Darin spricht er von einem „Volk, dem von Uranfang an etwas dünkelhaftes Niedriges anhaftet, mit dem sich die arische Welt nun mal nicht vertragen“ könne – Fontane meint die Juden.

Es ist nicht die einzige grotesk antisemitische Bemerkung, die von ihm in privaten Äußerungen überliefert ist. Er spricht mit Blick auf Juden etwa von „frechen, unschönen Gaunergesichtern“ und dergleichen mehr. Aber ihren vollen Irrsinn offenbart der Nachsatz, der diese Stelle im Brief an Paulsen begleitet: „All das sage ich (muss es sagen) der ich persönlich von den Juden........

© Frankfurter Allgemeine


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