Dass Menschen sich mit ihrer Sterblichkeit beschäftigen, liegt in ihrer Natur, und wer sich als Teil einer Gesellschaft versteht, denkt vielleicht auch über deren Ende nach. Als Wikinger sieht man Erde und Himmel, Götter, Riesen und Monster in einem großen Brand untergehen, und als bibelgläubiger Christ wartet man womöglich auf die vier apokalyptischen Reiter, die Posaunenengel und das Tier.

An­genehm sind solche Aussichten nicht, und dass man den kommenden Weltuntergang gerade Kindern gegenüber lieber diskret behandeln möchte, ist durchaus verständlich. So gesehen ist der Titel von Andrea Paluchs Kinderbuch „Die besten Weltuntergänge“ eine Provokation, die dem schon 2021 im Verlag Klett Kinderbuch erschienenen Werk jetzt gerade mit einiger Verspätung aufgeregte Reaktionen beschert. Im Internet sorgen sich Nutzer um den Seelenfrieden junger Leser, finden das Buch „einfach krank“ oder wähnen die Autorin, die mit ihrem Mann Robert Habeck schon 2001 den Roman „Hauke Haiens Tod“ publizierte, in der Nähe einer „apokalyptischen Sekte“. Die „Bild“ versammelt solche Stimmen sowie eine knappe Replik der Autorin unter der Überschrift: „Will Habecks Frau wirklich Kindern Angst machen?“

Das fragt sich umso leichter, je länger man auf der Titelseite der Buches bleibt. Schlägt man es auf, dann stößt man auf eine Reihe von Doppelseiten, die jeweils ein Zukunftsszenario entwerfen. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein: Eines erzählt vom Leben in einer maritimen Umwelt, an die sich die Menschheit mit schwimmenden Siedlungen und intensivem Konsum von Meeresfrüchten angepasst hat, ein anderes von einer Gesellschaft, die nichts verschwendet und nur so viel konsumiert, wie es der Planet verträgt, ein drittes von einer Welt, in der die Tierrechte Vorrang vor allem anderen haben. Daneben stehen tatsächlich apokalyptische Szenarien, etwa das einer von Dürre gebeutelten Erde, von einer zerstörten Ozonschicht oder einem allgegenwärtigen lebensbedrohlichen Virus.

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Die Botschaft, hält man all das zusammen, ist das genaue Gegenteil von der dem Buch unterstellten: Statt dass es Kinder entmutigt oder lähmt, zeigt es Alternativen auf und spricht davon, dass der Mensch es in der Hand habe, seine Zukunft zu gestalten. Wahrscheinlich ist das die eigentliche Provokation des Buches für manche erwachsene Rezipienten: Indem Paluch das Wort „Weltuntergang“ im transformativen Sinn versteht und von einer neuen Welt spricht, die auf die alte folgt, spricht sie auch von Möglichkeiten und Verantwortung. Die Eltern von Paluchs jungen Lesern dürften sich jedenfalls auf bohrende Fragen gefasst machen.

QOSHE - Apokalypse im Kinderbuch - Tilman Spreckelsen
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Apokalypse im Kinderbuch

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11.12.2023

Dass Menschen sich mit ihrer Sterblichkeit beschäftigen, liegt in ihrer Natur, und wer sich als Teil einer Gesellschaft versteht, denkt vielleicht auch über deren Ende nach. Als Wikinger sieht man Erde und Himmel, Götter, Riesen und Monster in einem großen Brand untergehen, und als bibelgläubiger Christ wartet man womöglich auf die vier apokalyptischen Reiter, die Posaunenengel und das Tier.

An­genehm sind solche Aussichten nicht, und dass man den kommenden Weltuntergang gerade Kindern gegenüber lieber diskret behandeln möchte, ist durchaus verständlich. So gesehen ist der Titel von Andrea Paluchs Kinderbuch „Die besten Weltuntergänge“ eine Provokation, die dem schon 2021 im Verlag Klett Kinderbuch........

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