Wer eine Weile nicht mehr in Großbritannien gewesen ist und nun durch London und Umgebung läuft, wird sich die Augen reiben. Nicht nur, weil er inzwischen einen Reisepass braucht, um herzukommen, nach so viel Jahren, in denen der Personalausweis genügt hatte, sondern auch weil er in jedem Supermarkt zu spüren bekommt, was die neuen Zollregelungen bewirken, und bei jedem Päckchen, das er nach England schickt, die Mühlen der Bürokratie wahrnimmt. Zum Glück gibt es ein paar Dinge, die sich nicht geändert haben, weil es zum britischen Selbstverständnis gehört, das Allerbeste frei zugänglich zu machen: die großen Museen und die Parks.

Das gilt auch für Orte, an die sich die Touristen eher selten verirren. In Ealing etwa, zwischen Heathrow und der Londoner City gelegen, sind der Walpole Park und der Lammas Park nur durch eine Straße getrennt, am einen Ende sind die Geschäfte, Restaurants und Banken, am anderen Ende sind es gerade ein paar Schritte bis zur Haltestelle der Piccadilly-Line. Dazwischen führen Wege an den Wiesen vorbei, gesäumt von Bänken und Bäumen. Auf einer Kreuzung steht ein kleiner Wagen, aus dem heraus Gebäck verkauft wird. Auf den Bänken sind kleine Metalltafeln angebracht, die an Menschen erinnern, die hier gern gewesen sind, und vor den Bäumen auf der Wiese Metallplaketten mit Namen von Verstorbenen.

Sie erzählen von erfüllten langen Lebensläufen derer, die trotzdem vermisst werden, und von der empörenden Ungerechtigkeit, dass einer mit gerade mal 33 Jahren gehen musste, ganz egal ob er, wie ein Andrew Philip Carter, sein Leben „würdevoll, freundlich und großzügig“ verbrachte oder nicht. Es blüht zwischen den Bäumen, Krokusse und Schneeglöckchen, der Park riecht nach Aufbruch, nach dem Versprechen, dass es doch aufwärts geht, allem Anschein zum Trotz. Ein Hort am Weg hat sich zur Aufgabe gemacht, Kindern beizubringen, wie man den Dingen beim Wachsen zusieht, was vermutlich auch heißt zu akzeptieren, wenn einer geht.

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Die Angehörigen und Freunde erinnern sich in diversen Sprachen an A.A. Camyab, A. Malik Qureshi, Satpal Synghal, an Julia Foreman, Sir Gerry Neale und Elly van der Linden, „Liefste Mama en Oma“ und „voor altud in ons Hart“. Wer solche Tafeln anbringt, der sucht sich dafür einen Ort, an den er gerne zurückkehrt. In diesem Park voller Erinnerung und Liebe erscheint der Brexit mit all seinen willkürlichen Barrieren zwischen den Völkern einmal mehr als der zutiefst unbritische Irrsinn, der er ist.

QOSHE - Es riecht nach Aufbruch - Tilman Spreckelsen
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Es riecht nach Aufbruch

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16.02.2024

Wer eine Weile nicht mehr in Großbritannien gewesen ist und nun durch London und Umgebung läuft, wird sich die Augen reiben. Nicht nur, weil er inzwischen einen Reisepass braucht, um herzukommen, nach so viel Jahren, in denen der Personalausweis genügt hatte, sondern auch weil er in jedem Supermarkt zu spüren bekommt, was die neuen Zollregelungen bewirken, und bei jedem Päckchen, das er nach England schickt, die Mühlen der Bürokratie wahrnimmt. Zum Glück gibt es ein paar Dinge, die sich nicht geändert haben, weil es zum britischen Selbstverständnis gehört, das Allerbeste frei zugänglich zu machen: die großen Museen und die Parks.

Das gilt auch für Orte, an........

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