Wenn sich auf Grönland der kurze Sommer ankündigt und in den Siedlungen zwischen Eiskappe und Küste langsam der Schnee schmilzt, kommt alles Mögliche zwischen den Häusern hervor, was monatelang verschwunden war: Unrat zumeist, der entsorgt wird, aber auch Dinge, die verloren gingen und die nun von ihren Besitzern wieder eingesammelt werden, weil die Erfahrung lehrt, dass man nur lange genug warten muss – Hauptsache, man weiß, wo etwas liegt, sei es auch unter meterdickem Schnee. Die arktische Flora aber nutzt die paar Wochen, um sich tapfer und sehr bunt überall sehen zu lassen, wo ein Stückchen Erde ist, bevor alles wieder die Köpfe einziehen muss.

Von Schneebergen ist bei uns schon lange nicht mehr die Rede, aber den Impuls, nach der Winterpause die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, spürt man auch hier im öffentlichen Raum. Man meint eine Unruhe wahrzunehmen, wenn man sich den Parks und Gärten nähert, den Drang der privaten und öffentlich bezahlten Gärtner, den Spaten in die Hand zu nehmen oder, wenn es um größere Flächen geht, das Tablet, um zu planen, was alles anders werden soll.

Im Frankfurter Europaviertel läuft eine seelenlose Straße auf eine Grünfläche zu, genannt Europagarten und eingerahmt von dünnen Bäumen, durchquert von regelmäßig angelegten Wegen, und unter der Anlage rauscht der Verkehr durch einen Tunnel. Sonderlich lebendig wirkt hier nichts, abgesehen von den unermüdlichen Fußballern, die auf einem hoch eingezäunten Sandplatz am vorderen Rand der Fläche spielen.

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Wohl weil der Anblick gar zu trostlos war, von den Fenstern der Hochhäuser aus und noch mehr aus der Perspektive der Fußgänger, wurden die Anwohner eingeladen, eigene Ideen beizusteuern, wie der geplanten Misere zu begegnen sei, schließlich war mittlerweile klar, dass die ringsum gepflanzten Bäume hier nicht wachsen und die Wasserbecken ihren Zweck nie erfüllen würden. Die Vorschläge waren bunt und vielfältig, von neuen Bäumen war die Rede und anderen Wegen, von Beeten, Beleuchtung und Tanzflächen.

Vielleicht liegt es an den sterilen Gebäuden ringsum, dass man wenig Vertrauen in eine Wendung zum Besseren durch solche Eingriffe hat, vielleicht auch an den Autos im Untergrund, vielleicht liegt der Park ja einfach an der falschen Stelle, obwohl man nirgendwo das bisschen städtische Grün nötiger hätte. Die Freiheit der zierlichen grönländischen Pflanzen, die tapfer vor sich hin wachsen dürfen, wünscht man der Flora im Europagarten jedenfalls. Und eine Mauer ohne Tür um das Gelände, abzureißen nach zehn Jahren, damit bis dahin alles ungestört wuchern kann.

QOSHE - Was Frankfurt von Grönland lernen kann - Tilman Spreckelsen
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Was Frankfurt von Grönland lernen kann

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05.03.2024

Wenn sich auf Grönland der kurze Sommer ankündigt und in den Siedlungen zwischen Eiskappe und Küste langsam der Schnee schmilzt, kommt alles Mögliche zwischen den Häusern hervor, was monatelang verschwunden war: Unrat zumeist, der entsorgt wird, aber auch Dinge, die verloren gingen und die nun von ihren Besitzern wieder eingesammelt werden, weil die Erfahrung lehrt, dass man nur lange genug warten muss – Hauptsache, man weiß, wo etwas liegt, sei es auch unter meterdickem Schnee. Die arktische Flora aber nutzt die paar Wochen, um sich tapfer und sehr bunt überall sehen zu lassen, wo ein Stückchen Erde ist, bevor alles wieder die Köpfe einziehen muss.

Von Schneebergen ist bei uns schon........

© Frankfurter Allgemeine


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