Unter Piloten waren die Flugzeuge aus Amerika lange der große Liebling. Ein kleiner Reim deutete das an: „Without Boeing, I’m not going“, ohne Boeing fliege ich nicht. Angesichts einer langen Serie von Auffälligkeiten, Mängeln und gar zwei fatalen Abstürzen 2018 und 2019 wirkt der liebevolle Ausspruch wie ein Relikt aus der Vergangenheit.

Mag nach dem jüngsten Vorfall nur die – gemessen an Stückzahlen – weniger gewichtige Version 737 Max 9, die ein Rumpfteil im Flug verlor, im Fokus der Ermittler stehen, so geht es in der Öffentlichkeit doch längst um das Ansehen des Konzerns insgesamt. Denn die Reihe der Ereignisse war zu lang.

Selbst un­ter manch regelmäßigem Passagier keimt wieder so etwas wie Flugangst. Und Boeing hat sich zu lange geweigert, dass in eigenen Äußerungen aufzugreifen. Erst der neue Chef David Calhoun nahm das ernst. Dass er sich – nicht nur gespielt – erschüttert zeigt, belegt eine gute und wichtige kommunikative Wende. Die von Airlines beklagten Qualitätsmängel hat aber auch er noch nicht im Griff.

Für Fluggesellschaften bleibt ein doppeltes Problem. Flugangst, falls ein Boeing-Jet am Gate steht, ist sogar das kleinere. Gewichtiger ist, dass sich die Gesellschaften sorgen müssen, ihre gewünschten Flugpläne der Zukunft abfliegen zu können, wenn einer der nur zwei Großserienhersteller durch Mängel, Zwischenfälle und Verzögerungen stolpert.

Lange waren Überkapazitäten ein Diskussionsthema in der Luftfahrt, nun mutieren Flugzeuge zur knappen Ware. Lufthansa kann deshalb hohe Ticketpreise verlangen. Was zum Verdruss unter Reisenden sorgt, beschert dem Konzern stattliche Gewinne. Doch die sind ein kurzfris­tiges Glück. Trotz aller Klimadebatten steht die Luftfahrt international vor Expansionsschritten. Außerdem sollen massenweise alte Flugzeuge durch neue – auch emissionsärmere – ersetzt werden.

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Der europäische Boeing-Rivale Airbus kann diese Nachfrage bei Weitem nicht allein decken, zumal man in Toulouse auch mit allerlei Verzögerungen zu kämpfen hat. Schnell daher gesagte Forderungen, Fluggesellschaften sollten Boeing-Jets abbestellen, verkennen diese Herausforderung. Für die Luftfahrt gilt: Ohne Boeing geht es nicht. Aber die Amerikaner müssen endlich durch eigene Anstrengungen schaffen, die Turbulenzen hinter sich zu lassen.

QOSHE - Ohne Boeing geht es nicht - Timo Kotowski
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Ohne Boeing geht es nicht

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11.01.2024

Unter Piloten waren die Flugzeuge aus Amerika lange der große Liebling. Ein kleiner Reim deutete das an: „Without Boeing, I’m not going“, ohne Boeing fliege ich nicht. Angesichts einer langen Serie von Auffälligkeiten, Mängeln und gar zwei fatalen Abstürzen 2018 und 2019 wirkt der liebevolle Ausspruch wie ein Relikt aus der Vergangenheit.

Mag nach dem jüngsten Vorfall nur die – gemessen an Stückzahlen – weniger gewichtige Version 737 Max 9, die ein Rumpfteil im Flug verlor, im Fokus der Ermittler stehen, so geht es in der Öffentlichkeit doch längst um das Ansehen des Konzerns insgesamt. Denn die Reihe der Ereignisse war zu........

© Frankfurter Allgemeine


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