Stand: 12.04.2024, 17:03 Uhr

Von: Bernd Hontschik

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Hat der Gesundheitsschutz oberste Priorität?

Selbst wer die Zeitung nicht täglich und aufmerksam liest, wird wissen, was Glyphosat ist. Es ist ein Pflanzenschutzmittel. Menschen schützt es nicht, im Gegenteil. In den USA jagt ein Prozess den anderen, die Tochterfirma des Bayer-Konzerns namens Monsanto wird immer wieder für durch Glyphosat verursachte Krebserkrankungen haftbar gemacht und muss Entschädigungen in astronomischer Millionenhöhe zahlen. In Europa aber ist der Kampf zwischen jenen, die Mensch und Umwelt schützen wollen, auf der einen Seite und mächtigen Konzern-Lobbyist:innen auf der anderen Seite nach wie vor unentschieden.

Immer wieder fällt die Europäische Kommission durch befristete Verlängerungen der Zulassung von Glyphosat auf und bestreitet schlicht, dass diese Chemikalie Krebs verursacht. Zuletzt Ende 2023 wurde die Zulassung von Glyphosat um weitere zehn Jahre verlängert. Der Gefahr von Krebserkrankungen, die man im Prinzip zunächst bestreitet, wird durch die Vorschrift eines fünf Meter breiten Pufferstreifens am Rand eines mit Glyphosat behandelten Feldes Rechnung getragen: ein Witz! So kann Monsanto diesen Giftstoff munter weiter produzieren.

Bayer und Monsanto haben aber noch ganz andere Giftpfeile im Köcher. Seit 1929 haben sie einen Giftstoff namens PCB hergestellt. Diese polychlorierten Biphenyle gehören zu dem „dreckigen Dutzend“ hochgiftiger Chlorverbindungen, deren Produktion und Verwendung mit einem UN-Abkommen 2001 weltweit verboten wurde. Sie sind krebserregend, erbgutschädigend, verursachen hormonelle Veränderungen und embryonale Fehlbildungen. Über siebzig Jahre lang haben Bayer und Monsanto viele Milliarden mit PCB verdient, das mit hunderttausenden Tonnen besonders im Baugewerbe verwendet worden ist. Jetzt ist es zum Glück schon über zwanzig Jahre verboten. Wir können aufatmen! Zwar spät, aber eben doch sind wir jetzt vor diesem katastrophalen Giftstoff endlich geschützt.

Aber sind wir das wirklich? PCB im Club der dreckigen Dutzend gehört nämlich außerdem auch zum exklusiven Kreis der sogenannten „Ewigkeitschemikalien“. Das sind Stoffe, die einmal angewandt, nie mehr aus der Welt verschwinden; nicht aus den Böden, nicht aus Gebäuden, nicht aus der Atemluft und nicht aus der Nahrung. Und so verursacht PCB auch über zwanzig Jahre nach seinem Verbot noch immer Hautreizungen, Atemerkrankungen und steht nach wie vor im Verdacht, krebserregend zu sein.

Dieser Giftstoff wurde vor allem auch in Schulen und Kindergärten verbaut. Ein beunruhigter Vater ließ in der Kindertagesstätte seiner Tochter die PCB-Belastung untersuchen. Die erlaubten Grenzwerte wurden pro Kubikmeter Raumluft um mehr als dreihundert Prozent überschritten. Man weiß von etwa 1500 solcher Schulen in Deutschland, die dringend PCB-saniert werden müssten – wahrscheinlich sind es aber viel mehr.

In einer Schule in Villingen konnte nach Entfernung der toxischen Primärquellen wie Deckenplatten und Fugenmassen eine Verminderung der PCB-Belastung der Raumluft in den Klassenräumen um den Faktor 3 erreicht werden: zu wenig. Danach wurden die noch verbliebenen sekundären Giftquellen gereinigt und mit Beschichtungen und Verplattungen abgedeckt, wodurch eine weitere Verminderung, aber keine Beseitigung des Problems erreicht werden konnte; zumindest wurden nun die Grenzwerte unterschritten.

Im Unterschied zu Asbest und zu Glyphosat ist der PCB-Skandal bislang leider weitgehend unbeachtet geblieben. Aber auch in diesem Fall muss eine Entschädigung der Opfer und die Sanierung der verseuchten Gebäude gefordert werden.

In Deutschland gilt das Produkthaftungsgesetz von 1989: „Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“ Wer oder was schützt trotz eindeutiger Gesetzeslage Konzerne immer wieder davor, für Schäden, die ihre Produkte angerichtet haben, die Verantwortung zu übernehmen? Warum werden sie nicht für die immensen Kosten der Sanierung in Haftung genommen? Der Gesundheitsschutz hat oberste Priorität, hieß es während der Corona-Pandemie landauf, landab. Die ist jetzt erstmal vorbei. Der Gesundheitsschutz auch?

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Bayer muss entgiften

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12.04.2024

Stand: 12.04.2024, 17:03 Uhr

Von: Bernd Hontschik

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Hat der Gesundheitsschutz oberste Priorität?

Selbst wer die Zeitung nicht täglich und aufmerksam liest, wird wissen, was Glyphosat ist. Es ist ein Pflanzenschutzmittel. Menschen schützt es nicht, im Gegenteil. In den USA jagt ein Prozess den anderen, die Tochterfirma des Bayer-Konzerns namens Monsanto wird immer wieder für durch Glyphosat verursachte Krebserkrankungen haftbar gemacht und muss Entschädigungen in astronomischer Millionenhöhe zahlen. In Europa aber ist der Kampf zwischen jenen, die Mensch und Umwelt schützen wollen, auf der einen Seite und mächtigen Konzern-Lobbyist:innen auf der anderen Seite nach wie vor unentschieden.

Immer wieder fällt die Europäische Kommission durch befristete Verlängerungen der Zulassung von Glyphosat auf und bestreitet schlicht, dass diese Chemikalie Krebs verursacht. Zuletzt Ende 2023 wurde die Zulassung von Glyphosat um weitere zehn Jahre verlängert. Der Gefahr von Krebserkrankungen, die man im Prinzip zunächst........

© Frankfurter Rundschau


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