Stand: 01.02.2024, 16:36 Uhr

Von: Can Merey

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Die Ukraine steht im zweiten Kriegswinter militärisch unter erheblichem Druck. Vor allem Rom und Paris sollten das geschundene Land in dieser Situation stärker unterstützen.

Der Europäischen Union ist am Donnerstag ein weiterer Eklat erspart geblieben: Nach dem Ende der Blockade des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán ist das Unterstützungspaket für die Ukraine beschlossene Sache. Eigentlich hätte über die Milliardenhilfe bereits im Dezember entschieden werden sollen. Erst am Tag vor dem Sondergipfel hatte sich die EU blamiert, als sie einräumen musste, dass sie ihr Versprechen, der Ukraine bis März eine Million Artilleriegeschosse zu liefern, nicht wird halten können.

Das Gezerre um das Hilfspaket, das Scheitern der Zusage – all das signalisiert dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass die Europäische Union bei der Unterstützung der Ukraine weder so geschlossen noch so entschlossen ist, wie sie glauben machen will.

Das ist besonders zum jetzigen Zeitpunkt verheerend, weil die Ukraine im zweiten Kriegswinter militärisch unter erheblichem Druck steht. Putin scheut nicht davor zurück, seine Truppen zu verheizen, und die russische Rüstungsindustrie produziert trotz der westlichen Sanktionen mit Vollgas. Der Ukraine dagegen mangelt es an Personal und an Munition. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appellierte in Brüssel eindringlich an die anderen EU-Staaten, ihre Waffenlieferungen an die Ukraine aufzustocken.

Scholz könnte einerseits mit gutem Beispiel vorangehen und endlich die dringend benötigten Taurus-Marschflugkörper liefern, die er der Ukraine verweigert. Andererseits hat er recht mit seinem Verweis darauf, dass außer den USA kein anderes Land die Ukraine so stark unterstützt wie Deutschland.

Wie richtig und wichtig sein Appell an die anderen EU-Staaten ist, zeigt ein Blick in die Statistiken des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), das Zusagen für die Ukraine zwischen dem 24. Januar 2022 und dem 31. Oktober 2023 erfasst hat. Dass die wirtschaftsstarken EU-Mitglieder Frankreich und Italien – die beide der G7-Gruppe der wichtigen Industriestaaten angehören – bei den einzelnen Staaten nur auf Platz zwölf und 15 der Liste landen, ist ein Armutszeugnis. (Frankreich zweifelt die IfW-Zahlen aber an.)

Betrachtet man allerdings nicht die absoluten Beträge der Regierungshilfen, sondern deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP), findet sich auch Deutschland nicht mehr auf einem der oberen Listenplätze. Die Bundesregierung wendete der IfW-Statistik zufolge insgesamt 0,9 Prozent des BIP für die Ukraine-Hilfe auf. Damit liegt Deutschland auf Rang 13 – immerhin noch deutlich vor Italien (22) und Frankreich (23).

An der Spitze steht Litauen mit 1,9 Prozent, gefolgt von Estland (1,8 Prozent). Die baltischen Staaten wissen, wie real die Bedrohung durch Russland ist, vor der sie seit langem warnen. In Berlin sind diese Warnungen angekommen. In Rom, Paris und anderen europäischen Hauptstädten sollte man ihnen dringend mehr Gehör schenken.

Kurz vor dem zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine wird immer deutlicher, dass die westliche Unterstützung nicht ausreicht. Sie verhilft der Ukraine bislang dazu, den Krieg nicht zu verlieren – das ist aber nicht genug, denn die Zeit spielt für Putin.

Sollte bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im November Donald Trump gewinnen, ist unklar, ob die Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Ukraine überhaupt Bestand haben wird. Ob Europa einen Ausfall der USA würde ausgleichen können, ist überaus fraglich. Sollte sich Putin in der Ukraine aber letztlich durchsetzen, dürfte das nicht nur seine Expansionsgelüste befeuern. Auch der chinesische Präsident Xi Jinping, der offen mit einer Eroberung Taiwans droht, dürfte sich bei einem Scheitern des Westens ermutigt sehen.

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Zweiter Kriegswinter in der Ukraine: EU muss mehr helfen

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01.02.2024

Stand: 01.02.2024, 16:36 Uhr

Von: Can Merey

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Die Ukraine steht im zweiten Kriegswinter militärisch unter erheblichem Druck. Vor allem Rom und Paris sollten das geschundene Land in dieser Situation stärker unterstützen.

Der Europäischen Union ist am Donnerstag ein weiterer Eklat erspart geblieben: Nach dem Ende der Blockade des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán ist das Unterstützungspaket für die Ukraine beschlossene Sache. Eigentlich hätte über die Milliardenhilfe bereits im Dezember entschieden werden sollen. Erst am Tag vor dem Sondergipfel hatte sich die EU blamiert, als sie einräumen musste, dass sie ihr Versprechen, der Ukraine bis März eine Million Artilleriegeschosse zu liefern, nicht wird halten können.

Das Gezerre um das Hilfspaket, das Scheitern der Zusage – all das signalisiert dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass die Europäische Union bei der Unterstützung der Ukraine........

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