Stand: 29.03.2024, 15:37 Uhr

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Städte und Gemeinden werden zu „Caring Communities“ und ergänzen Heime.

Alle wollen alt werden, aber niemand will es sein. „Alter“ ist in Deutschland ein Unwort. Statt eine älter werdende Gesellschaft als Chance zu sehen, reduzieren Politik und Profession den demografischen Wandel auf Begriffe wie „Pflegenotstand“, „Pflegekatastrophe“ und „Kostenlawine“.

Uns droht die Zukunft einer ambulanten und stationären Pflege, die pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren professionell versorgt, ohne Integration in ihr bislang gewohntes soziales Leben. „Professionell, teuer und kalt“ – wollen wir in einer solchen älter werdenden Gesellschaft leben?

Fünf Millionen Pflegebedürftige gibt es derzeit in Deutschland, 2030 werden es sechs Millionen sein. Rund 800 000 leben vollstationär in Pflegeheimen. Heute werden fünf von sechs Bedürftigen zu Hause versorgt, weil sie es so wollen. Über 90 Prozent der Älteren wollen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Die meisten von ihnen werden heute von ihren Angehörigen gepflegt, von Ehefrauen und Töchtern.

Bald wird der Eigenbeitrag für ein Pflegeheimplatz bei rund 3000 Euro im Monat liegen. 2020 waren es noch gut 2000, im Jahr 2023 bereits 2740 Euro. Weil das viele der betroffenen Seniorinnen und Senioren nicht zahlen können, springen Familien oder Sozialämter ein.

Immer mehr Pflegeheime schließen aus Kostengründen, immer weniger kommen neu dazu. Die nächste Generation der Pflegebedürftigen wird sich das nicht mehr leisten können, weil ihre Renten niedriger ausfallen. Auch die Pflege durch Angehörige wird künftig aufgrund der geburtenschwächeren Jahrgänge sinken.

Pflege muss in Zukunft dort stattfinden, wo sie hingehört: in der kommunalen Nachbarschaft. Pflege muss die Gesellschaft mitdenken und einbinden. Das alte Modell der Pflege(heime) wird zum Auslaufmodell. Das Zukunftsmodell einer „Caring Society“ setzt im Kern auf einen Pflegemix aus zurückgehender professioneller Pflege und erstarkender lokaler Laienpflege.

Es geht um Nachbarschaften, Quartiere und Räume, die den Alltag der Menschen, nicht nur der Älteren, lebenswert machen. Flexible Wohninfrastrukturen und nachbarschaftliche Projekte, die Pflege in den Alltag integrieren und dabei die Pflegebedürftigen mit einbinden.

Care findet im Wohnumfeld und zu Hause statt. Mit den Pflegebedürftigen werden Vereinbarungen getroffen: „Wie mobil wollt ihr sein? Wie können wir Euch dabei unterstützen?“ Pflege wird lebensweltlicher, näher und integrativ. Netzwerke aus Familie, Freunden und Nachbarschaft entstehen.

Alters-Wohngemeinschaften (WGs) verbinden das Bedürfnis der Älteren, möglichst lange in den eigenen vier Wänden und nicht in einem Heim leben zu müssen, mit der Notwendigkeit, sie gut und effizient zu betreuen. Städte und Gemeinden müssen so gebaut sein, dass alles, was man zum täglichen Leben braucht, nicht weiter als ein paar Minuten zu Fuß entfernt ist von dem Ort, wo man lebt. Nachbarschaftliches Wohnen statt eines Lebens in Einsamkeit.

Caring Communities fördern den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit und gewohnten Umgebung und verhindern präventiv den Wechsel in stationäre Pflege. Kommunen als „Caring Communities“ können damit viel gewinnen, wirtschaftlich, sozial und demokratisch. Es geht um attraktive Wohn- und Nachbarschaftsformen, Quartierärzte und -schwestern, Telemedizin und einen Mix aus professioneller Pflege und ehrenamtlichem Kümmern.

Die Zukunft gehört „altersfreundlichen Kommunen“. „Age friendly“ ist weltweit ein Trend für Städte und Gemeinden. Mehr als 150 Länder haben sich heute in dem WHO-Netzwerk „Age-friendly Cities and Communities“ zusammengetan.

Die finnische Stadt Tampere hat es beispielsweise geschafft, indem sie älteren Menschen eine barrierefreie Umgebung ermöglicht hat. Die lokale Stadtplanung setzt auf verkehrsberuhigte Zonen und altersgerechte Wege. Das neue Wohnquartier bietet kostenpflichtige Services an wie Physiotherapie und Ernährungsberatung.

Unter den über 1500 Mitgliedern des WHO-Netzwerks sind nur wenige deutsche Städte und Gemeinden. Das muss sich ändern. Auch wenn es keinen Masterplan für eine kommunale Altersstrategie gibt, müssen sich Kommunen mit dem demografischen Wandel zu Orten für alle Lebensalter wandeln.

Dabei kommt es vor allem auf die „jungen Alten“ an, die wachsende Gruppe von Seniorinnen und Senioren sowie Rentnerinnen und Rentnern, die über Zeit, Geld und Fitness verfügen. Die lokale Pflege älterer Menschen wird zum neuen kommunalen Wachstumsmarkt. „Präventiv und kommunal vor ambulant und stationär“ weist den Weg in die altersgerechte Zukunft.

Daniel Dettling istZukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik.

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Die Kommunalisierung der Pflege

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29.03.2024

Stand: 29.03.2024, 15:37 Uhr

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Städte und Gemeinden werden zu „Caring Communities“ und ergänzen Heime.

Alle wollen alt werden, aber niemand will es sein. „Alter“ ist in Deutschland ein Unwort. Statt eine älter werdende Gesellschaft als Chance zu sehen, reduzieren Politik und Profession den demografischen Wandel auf Begriffe wie „Pflegenotstand“, „Pflegekatastrophe“ und „Kostenlawine“.

Uns droht die Zukunft einer ambulanten und stationären Pflege, die pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren professionell versorgt, ohne Integration in ihr bislang gewohntes soziales Leben. „Professionell, teuer und kalt“ – wollen wir in einer solchen älter werdenden Gesellschaft leben?

Fünf Millionen Pflegebedürftige gibt es derzeit in Deutschland, 2030 werden es sechs Millionen sein. Rund 800 000 leben vollstationär in Pflegeheimen. Heute werden fünf von sechs Bedürftigen zu Hause versorgt, weil sie es so wollen. Über 90 Prozent der Älteren wollen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Die meisten von ihnen werden heute von ihren Angehörigen gepflegt, von Ehefrauen und Töchtern.

Bald wird der........

© Frankfurter Rundschau


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