Stand: 28.02.2024, 17:40 Uhr

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Der Staat darf in der Pflege nicht zu viel privatisieren. Er muss die Kontrolle behalten.

Am 29. Februar ist „Equal Care Day“, ein Aktionstag, der außerhalb eines Schaltjahres fehlt, so wie Wertschätzung und faire Verteilung von Care-Arbeit fehlen, der Sorgearbeit in zahlreichen Bereichen, von Haushalt und Erziehung bis zu Gesundheit und Pflege. Symptom einer Wohlstandsgesellschaft, die wesentliche Quellen von Zusammenhalt und Lebensqualität verkennt, ja zum Versiegen bringt.

Denn überwiegend leisten Frauen Care-Arbeit. Sie stehen vielfach am Rande des Kollapses. In einem Jahr leisten Frauen in Deutschland so viel Care-Arbeit wie Männer in drei Jahren. Die Chancen auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung sind zwischen den Geschlechtern immer noch mehr als ungerecht verteilt.

Die AfD hingegen spricht sich im Grundsatzprogramm für die traditionelle Familie aus. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, kam in seiner Rede zum politischen Aschermittwoch zu der Pointe: „Liebe Frauen, seid Frauen. Und zur Weiblichkeit gehört die Mutterschaft dazu. (…) Das ist das, was uns groß macht – echte Männer, echte Frauen, ein echtes Volk, das was aufbaut.“ Dagegen ist vehement zu streiten, für demokratische Fortschritte, dafür dass Freiheit und Gleichheit aller Hand in Hand gehen auf dem Weg zu Equal Care.

Bei der Verteilung von Care geht es eindeutig um materielle Vor- und Nachteile. Die Denkfabrik „Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Institut“ rechnete vor: Bis zu 75 Prozent der 35- bis 50-jährigen Frauen werden eine gesetzliche Rente unterhalb von Grundsicherung beziehen. Denn es sind Frauen, die in bestimmten Branchen arbeiten, die Care-bezogen beruflich kürzer treten oder pausieren. Es zahlt sich für sie miserabel aus.

Care-Arbeit ist vor allem eines: unbezahlt. Täglich sind es weltweit über zwölf Milliarden Arbeitsstunden der Frauen, beziffert das Manifest der Vereins klische*esc, der 2016 den Equal Care Day in Deutschland einführte. Care hierzulande wird mit circa einem Drittel der im Bruttoinlandsprodukt ausgewiesenen Bruttowertschöpfung bewertet.

Für Wohlstand und Wachstum inklusive der gegenwärtig unbezahlten Arbeit müssen Rechenmodelle entwickelt werden. Gerechter wird es, wenn auch zählt, was Menschen, Unternehmen, Institutionen zum Gemeinwohl beitragen.

De facto steht Wachstums- und Gewinnlogik weiterhin einem moderneren ökonomischen Denken entgegen. Der Bereich Gesundheit, in dem zu über 80 Prozent Frauen arbeiten, zeigt dies. Finanzinvestoren erhielten Zutritt. Namentlich Private-Equity-Gesellschaften investieren, etwa in einzelne Unternehmen oder ganze Ketten. Nach Auskunft des Vereins Finanzwende liegen die Erwartungen kurzfristiger Gewinne bei deutlich über zehn Prozent, Steueroase häufig inklusive.

Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung lag der Anteil an Übernahmen seitens solcher Gesellschaften in Deutschland für den Gesundheitssektor im Jahr 2012 bei zwei Prozent, 2018 dann bei 29 Prozent. Gesundheit ist die wichtigste Zielbranche. Betroffen sind besonders Pflegeheime und -dienste, Arztpraxen und medizinische Versorgungszentren (MVZ) mit verschiedenen Gesundheitsberufen unter einem Dach.

Andererseits können sehr viele Menschen etwa die Eigenmittel für Pflege kaum oder gar nicht aufbringen. Pflegende Angehörige, ganz überwiegend Frauen, reduzieren ihre Arbeitszeit, verlieren Einkommen. Pflege ist ein großes Armutsrisiko. Der Bedarf an mehr Mitteln der sozialen Sicherung ist offenkundig.

Und politisch? Die Bundesregierung hat für Verbesserungen im Bereich Pflege gesorgt. Offen ist, wie es mit der Pflegeversicherung weitergeht. Bisher zahlt sie nur teilweise. Sozial- und Wohlfahrtsverbände fordern eine Vollversicherung. Modellrechnungen zum Beispiel von Verdi zeigen: Das geht. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung Equal Care.

Parallel sind Private-Equity-Investoren zu bekämpfen. Für Renditen machen sie sich die solidarisch aus den sozialen Sicherungssystemen und aus Steuermitteln erbrachten Mittel zunutze. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung belegte, dass investorengetragene MVZ rund zehn Prozent höhere Honorare abrechneten. Die eigenen Recherchen beurteilte sie als schwierig, weil Eigentums- und Beteiligungsstrukturen undurchsichtig sind. Realistische Schätzungen über den Gesamtumfang der Gewinne von Private-Equity-Beteiligten fehlen.

Politisch sind Regelungen fällig, die Transparenz über Eigentum und Beteiligung schaffen. Fachlich braucht es Spielregeln, die Investments für Private-Equity-Gesellschaften unattraktiv machen. Entsprechende Gesetze der Regierung bringen wertvolle Punktsiege für Equal Care.

Petra Schmidt-Wiborg publiziert zu Themen sozial gerechter Gesundheit und ist promovierte Philosophin.

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28.02.2024

Stand: 28.02.2024, 17:40 Uhr

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Der Staat darf in der Pflege nicht zu viel privatisieren. Er muss die Kontrolle behalten.

Am 29. Februar ist „Equal Care Day“, ein Aktionstag, der außerhalb eines Schaltjahres fehlt, so wie Wertschätzung und faire Verteilung von Care-Arbeit fehlen, der Sorgearbeit in zahlreichen Bereichen, von Haushalt und Erziehung bis zu Gesundheit und Pflege. Symptom einer Wohlstandsgesellschaft, die wesentliche Quellen von Zusammenhalt und Lebensqualität verkennt, ja zum Versiegen bringt.

Denn überwiegend leisten Frauen Care-Arbeit. Sie stehen vielfach am Rande des Kollapses. In einem Jahr leisten Frauen in Deutschland so viel Care-Arbeit wie Männer in drei Jahren. Die Chancen auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung sind zwischen den Geschlechtern immer noch mehr als ungerecht verteilt.

Die AfD hingegen spricht sich im Grundsatzprogramm für die traditionelle Familie aus. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, kam in seiner Rede zum politischen Aschermittwoch zu der Pointe: „Liebe Frauen, seid Frauen. Und zur Weiblichkeit gehört die Mutterschaft dazu. (…) Das ist das, was uns groß........

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