Stand: 21.04.2024, 16:24 Uhr

Von: Hadija Haruna-Oelker

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Allzu schnell verengt sich unsere Wahrnehmung durch eine Berichterstattung, die die Komplexität der Krisen reduziert. Die Kolumne

Die Balance halten. Allen Seiten Raum geben, zuhören und sich nicht vereinnahmen lassen, aber doch mit Bestimmtheit wissen, wenn es tendenziös wird. Für die journalistische Berichterstattung ist es keine einfache Zeit. Dafür, die Wirklichkeit und eine Meinungsvielfalt abzubilden, die die Würde anderer nicht verletzt. Und ein Setting zu schaffen, das viele Perspektiven mit einschließt.

Die Herausforderung zeigt sich zum Beispiel in der Frage, wer in eine Sendung eingeladen wird und wer nicht. Zumal sich die Ausgewogenheit eines Gesprächs meistens erst danach feststellen lässt, weil sie davon abhängt, wie es geführt, was ein- und ausgeblendet, also wie thematisch gewichtet wurde. Der US-Journalist Jonathan Foster erteilte einmal den journalistischen Auftrag: „Wenn jemand sagt, dass es regnet, und ein anderer, dass es trocken ist, ist es nicht Ihre Aufgabe, beide zu zitieren. Es ist ihre Aufgabe, aus dem Fenster zu schauen und herauszufinden, was wahr ist.“

Und wahr ist, dass es das Problem von „False Balancing“ in der Berichterstattung gibt. Also eine problematische Ausgewogenheit, die dazu führt, dass sich ein öffentliches Problembewusstsein verschieben kann. Und das passiert nicht selten in den ach so beliebten „Pro- und Contra-Formaten“, bei denen konträre Positionen als gleichwertig gegenübergestellt werden.

Doch gerade in einem kontroversen Meinungsaustausch, bei dem das stärker vorgetragene Argument punktet, bedarf es einer kritischen Kontrolle. Weil es nicht unbedingt richtig ist und Populisten sowieso kein Problem mit einer faktenfreien Argumentation haben. Und so liegt auch in der Konfrontation die Gefahr einer „false balance“, wie beispielsweise das umstrittenen TV-Duell zwischen dem Thüringer CDU-Politiker Mario Voigt und AfD-Kontrahent Björn Höcke am Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora zeigte, bei dem „Hackepeter“ zum medialen Talkabout wurde.

Wer punktet, wenn es auf komplexe Fragen eigentlich keine einfachen Antworten gibt. Und wer hat recht? Es ist eine Frage, die in den meisten Fällen wenig zielführend ist, weil in ihr die Gefahr der Verkürzung liegt. Einer falschen Ausgewogenheit zu entgehen, bedeutet darum, Leerstellen auszumachen. Auch die eigene in der Berichterstattung, so wie es zum Beispiel ein Experten-Kollege im Gespräch mit mir in einer Radiosendung zur Beziehungsfrage zwischen Israel und dem Iran tat, als er erklärte, dass es ihm gerade selbst nicht leicht falle durch den medialen Fokus auf diese beiden Länder, die Lage in Gaza nicht aus dem Blick zu verlieren.

Und da wären noch andere Probleme, Kriege, Krisen und Konflikte, die sich überlappen. Schon immer haben wir in der Gleichzeitigkeit der Geschehnisse gelebt. Aber früher gab es weniger Informationen und mediale Flut auf den unterschiedlichen Kanälen zu sortieren. Damit war früher nicht alles besser, nur anders, weil weniger verarbeitet werden musste.

Wie also ausgewogen bleiben, das Gleichgewicht halten? Was mir hilft ist, mich Zusammenhängen von mehreren Seiten zu nähern. Kontextwissen sammeln. Darum arbeite ich auch in einer Hintergrundsendung. Denn Kontext heißt Hintergrund: die Geschichte eines Geschehens, die Beziehungsgeflechte der Interessen und Positionen und des eigenen Unwissens zu analysieren und sie mit Hilfe anderer zu füllen, damit sich das Publikum „ein differenziertes Bild machen kann“, wie es im journalistischen Jargon heißt. Ein verantwortungsbewusster Journalismus fordert heraus. Und es geht dabei auch darum, sich über Gästelisten Gedanken zu machen. Denn gerade bei Meinungsthemen fallen subjektive, vom persönlichen Gefühl geleitete Entscheidungen. Darum ist ein (selbst)kritischer Anspruch an die eigene Arbeit und die anderer Medienschaffender wichtig, immer wieder zwischen persönlicher Meinung und journalistischer Haltung zu unterscheiden. Und „false balance“ zu entgehen.

Hadija Haruna-Oelker

ist Politikwissenschaftlerin,

Autorin und Moderatorin.

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Ausgewogen bleiben

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21.04.2024

Stand: 21.04.2024, 16:24 Uhr

Von: Hadija Haruna-Oelker

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Allzu schnell verengt sich unsere Wahrnehmung durch eine Berichterstattung, die die Komplexität der Krisen reduziert. Die Kolumne

Die Balance halten. Allen Seiten Raum geben, zuhören und sich nicht vereinnahmen lassen, aber doch mit Bestimmtheit wissen, wenn es tendenziös wird. Für die journalistische Berichterstattung ist es keine einfache Zeit. Dafür, die Wirklichkeit und eine Meinungsvielfalt abzubilden, die die Würde anderer nicht verletzt. Und ein Setting zu schaffen, das viele Perspektiven mit einschließt.

Die Herausforderung zeigt sich zum Beispiel in der Frage, wer in eine Sendung eingeladen wird und wer nicht. Zumal sich die Ausgewogenheit eines Gesprächs meistens erst danach feststellen lässt, weil sie davon abhängt, wie es geführt, was ein- und ausgeblendet, also wie thematisch gewichtet wurde. Der US-Journalist Jonathan Foster erteilte einmal den journalistischen Auftrag: „Wenn jemand sagt, dass es........

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