Stand: 03.12.2023, 17:49 Uhr

Von: Hadija Haruna-Oelker

Kommentare Drucken Teilen

Bei der Debatte um Israel und Palästina geht es in Deutschland nicht um die Sache, sondern um die richtige Haltung. Das verhindert echte Solidarität. Die Kolumne.

Es gibt viele Menschen, die gerade verzweifelt sind. Die innerlich oder äußerlich eskalieren. Manche haben das Vertrauen in vertraute Personen verloren. Andere wurden rigoros abgestraft, haben Räume verloren, „weil sie leichtfertig in den sozialen aber auch leitenden Medien zu Anschauungsmaterial für falsches Denken oder Affekte gemacht werden. Reduziert auf Objekte des Diskurses statt ein Gegenüber, mit dem man streitet,“ schreibt dazu die Autorin Asal Dardan.

Es gibt in Deutschland nun einen Diskurs der richtigen Haltung, bei dem es sich für eine Seite zu entscheiden gilt: Israel oder Palästina? Aber es ist ein Irrtum, dass diese Seiten konträr laufen. Weil es darum geht, sich nicht mit der Sache der Fundamentalisten gemeinzumachen, wie Makkabi-Präsident Alon Mayer bei Markus Lanz erklärte.

Es ist ein Problem, dass es in den Diskussionen oft nicht um die Sache selbst geht. „Versöhnungstheater“, nennt der Autor Max Czollek die Gesten einer deutschen Selbstvergewisserung, bei der eine mustergültige Erinnerung an die Shoa zur Grundlage eines positiven Selbstbilds in der Gegenwart wird. Dabei war moralisch gesehen nie alles klar. Hier ein antisemitischer Hubert-Aiwanger-Vorfall. Dort eine rassistische Boris-Palmer-Debatte. Und die Ausgrenzung weiterer „Anderer“, die beispielsweise behindert sind oder queer. Und weil eine breitere Öffentlichkeit davon nichts wissen wollte, fehlt auch ein Wissen über Antisemitismus, der nie weg war, nur weggeredet wurde. Nennen wir es die Normalisierung der Nichtaufarbeitung nach 1945. Oder die Leerstelle der Selbstkritik, die Neonazis, Schwurbler und Islamisten nun für sich zu nutzen wissen.

Deshalb haben sich über Jahrzehnte jüdische, sinti, schwarze, migrantisierte oder muslimisch gelesene Menschen selbst helfen müssen. Sie haben Communities gebildet – meist ohne Bündnis zu den anderen. Weshalb es oft auch ein Denken in Hierarchien untereinander gibt. Darum ist da kein Wir, kein Deutschsein für alle. All das schuf die Basis, auf der zwar heute in progressiven Blasen für die Idee eines intersektionalen Feminismus geworben wird, aber zeitgleich eine völkische Partei in Umfragen bei einem knappen Viertel der Zustimmung liegt.

Darum wäre es jetzt wichtig, darüber zu sprechen, warum Jüdinnen und Juden auf allen Seiten der Diskurse oft ausgeblendet werden. Und warum die Frage nach Palästina keinen Platz in deutschen Debatten bekommen hat. Denn die Projektion des Problems auf rassifizierte Menschen macht dieses Land nicht weniger antisemitisch. Es macht den Kampf dagegen nur unglaubwürdig.

Es sollte klar werden, „hätte man den Anfängen gewehrt und wir sind die Zeugen unserer Zeit, dann wären wir nicht heute, wo wir sind“, wie Michel Friedman bei der Gedenkveranstaltung „Gegen das Schweigen“ im Berliner Ensemble unsere Zustände erklärte. Und dass „das Gerücht über die Juden“, wie Theodor Adorno einst den Judenhass erklärte, überall kursiert. Doch anstatt über all das nachzudenken oder nachzufragen, gibt es vorschnelle Reaktionen und Entscheidungen, an denen Herzen und Bündnisse zerbrechen.

Es ist also zugleich eine Frage der Selbstkritik und der Empathie, ob man nun alle Menschen gleichzeitig im Herzen halten kann. Und die Ratio behält, um die unterschiedlichen Kontexte von Israel, Gaza und Deutschland auseinanderzuhalten.

Antisemitismus- und :ismenkritisch zu sein, heißt, offen zu bleiben, nicht nur zu wittern, sondern nachzuhaken und zu -fühlen, sich Inhalten zu widmen, um zu reflektieren, womit wir alle sozialisiert wurden. Solidarität bedeutet, Demut, Verbindung halten und Kritik annehmen zu können. Fehler zu besprechen und Gelerntes zu verlernen. All das gegen die Verzweiflung.

Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin, Autorin und Moderatorin.

QOSHE - Gegen die Verzweiflung - Hadija Haruna-Oelker
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Gegen die Verzweiflung

42 0
03.12.2023

Stand: 03.12.2023, 17:49 Uhr

Von: Hadija Haruna-Oelker

Kommentare Drucken Teilen

Bei der Debatte um Israel und Palästina geht es in Deutschland nicht um die Sache, sondern um die richtige Haltung. Das verhindert echte Solidarität. Die Kolumne.

Es gibt viele Menschen, die gerade verzweifelt sind. Die innerlich oder äußerlich eskalieren. Manche haben das Vertrauen in vertraute Personen verloren. Andere wurden rigoros abgestraft, haben Räume verloren, „weil sie leichtfertig in den sozialen aber auch leitenden Medien zu Anschauungsmaterial für falsches Denken oder Affekte gemacht werden. Reduziert auf Objekte des Diskurses statt ein Gegenüber, mit dem man streitet,“ schreibt dazu die Autorin Asal Dardan.

Es gibt in Deutschland nun einen Diskurs der richtigen Haltung, bei dem es sich für eine Seite zu entscheiden gilt: Israel oder Palästina? Aber es ist ein Irrtum, dass diese Seiten konträr laufen. Weil es darum geht, sich nicht mit der Sache der Fundamentalisten........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play