Stand: 25.02.2024, 16:00 Uhr

Von: Hadija Haruna-Oelker

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Wir brauchen den Austausch über unterschiedliche Perspektiven. Denn es gibt keine einfachen Antworten auf die Krisen der Gesellschaft.

Deutschland im Demonstrier-Modus, was auch sonst tun für die Demokratie? Viel wird jetzt darüber sinniert, was der Protest nutzen wird.

Es ist Superwahljahr und klar ist, dass er alleine nicht ausreichen wird, um die Haltung bestimmter Menschen zu verändern, für die Diskriminierung zum Normal zählt. Und dass es jetzt nicht nur darum gehen sollte, gegen rechts zu sein, sondern sich konkret gegen Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Sexismus oder Transfeindlichkeit zu positionieren: im Alltag, auf der Arbeit im familiären Gespräch.

Es geht darum, dass Frauen mit Hijab keine Jobs mehr verwehrt werden, die Angst vor Schwarzen Menschen abnimmt, Beschreibungen wie „behindert“ oder „Jude“ nicht mehr als Schimpfworte genutzt werden oder sich nicht mehr über Menschen empört wird, die dick sind. Dass das Gefühl abnimmt, sich von denen „da oben“ oder den Medien bevormundet zu fühlen oder zu glauben, dass man angeblich nichts mehr sagen darf.

Hanau, Halle, der NSU. Seit so vielen Jahren kämpfen die Überlebenden und Angehörigen rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalt für Erinnerung und Aufklärung, was ihren Glauben an die Demokratie erschüttert hat und immer wieder erschüttert, weil sie wie jetzt in Chemnitz dabei zusehen müssen, wie die Polizei ihre abgelegten Blumen nach der Kundgebung für die Opfer des Anschlags von Hanau in den Müll wirft. Darum ist es zwar positiv, dass die „schweigende Mitte“ jetzt zu Tausenden ihren Widerstand bezeugt, aber auch nur ein kleiner Trost, weil es schon so viele Anlässe gab, um sich verantwortlich zu zeigen.

Wissen, fühlen, handeln. Genau das fordert jeden Einzelnen heraus, weil Desinformation, Verschwörungserzählungen und politische Framings so viele Gespräche bestimmen. Es ist leichter, Migrant*innen und muslimisches Leben gleich Gefahr zu setzen und sich zu empören, weil es dazu keine Fakten braucht, weil dann nichts verändert werden muss. Uns insgesamt ist die wachsende gesellschaftliche Verrohung erschreckend echt, fehlt es vielerorts an Empathie.

Es ist grotesk, dass sich der politische Abschiebe-Diskurs unverändert undifferenziert fortsetzt – und das vermutlich mit Zustimmung nicht weniger Menschen, die gerade gegen die Abschiebung von Menschen aus völkisch-nationalistischen Gründen auf die Straße gegangen sind. Auch auf Schulhöfen fehlt es vielen jungen Menschen an Gemeinschaftssinn, ist es für viele so normal, andere auszugrenzen. Die im Elternhaus herrschende Haltung hat Einfluss auf die Gleichgültigkeit und das Abwertungsverhalten ihrer Kinder gegenüber anderen. Entsolidarisierung führt zu einer gesellschaftlichen Degenerationsspirale und darum lassen sich jetzt mehr Heranwachsende beobachten, die sich auf Tiktok radikalisieren, wo Hassprediger*innen Antisemitismus und Rassismus verbreiten. Nicht ohne Grund spricht die AfD explizit junge Wähler*innen dort an, was bestens funktioniert, weil kein anderes soziales Medium diese vulnerable Zielgruppe mit derart verstörendem Content weitgehend ohne Aufsicht versorgt, wie die Bildungsstätte Anne Frank kürzlich erklärte.

Und so ist vieles, was sich gerade beobachten lässt, in der Analyse zu komplex, um es einfach zu erklären. Darum haben viele Menschen den Überblick verloren, auch weil es viele Widersprüche gibt, mit denen insbesondere die AfD gut klart kommt. Darum ist es ein gesellschaftliches Problem, dass heute viele humanitäre Probleme eine Frage der Auslegung und Meinung geworden sind und ein tiefergehender Austausch fehlt, weil diese vielen zu anstrengend geworden ist.

Aber genau diesen braucht es jetzt: einen öffentlichen Diskurs, in dem mehr Fragen gestellt und Menschen befähigt werden, auszuhalten, dass es in unseren aktuellen Zuständen keine einfachen Antworten gibt, aber viele Perspektiven darauf, die wir uns alle anhören sollten, um zusammen weiterzukommen.

Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin, Autorin und Moderatorin.

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Was Protest nachhaltig macht

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25.02.2024

Stand: 25.02.2024, 16:00 Uhr

Von: Hadija Haruna-Oelker

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Wir brauchen den Austausch über unterschiedliche Perspektiven. Denn es gibt keine einfachen Antworten auf die Krisen der Gesellschaft.

Deutschland im Demonstrier-Modus, was auch sonst tun für die Demokratie? Viel wird jetzt darüber sinniert, was der Protest nutzen wird.

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Es geht darum, dass Frauen mit Hijab keine Jobs mehr verwehrt werden, die Angst vor Schwarzen Menschen abnimmt, Beschreibungen wie „behindert“ oder „Jude“ nicht mehr als Schimpfworte genutzt werden oder sich nicht mehr über........

© Frankfurter Rundschau


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