Stand: 27.02.2024, 15:13 Uhr

Von: Harry Nutt

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Zum Prinzip Leitung gehört die Antizipation des Scheiterns. Sie ergänzt oder ersetzt andere Stile des Entscheidens.

Drin oder Linie? Wegen seiner klaren Ergebnisse war Sport seit jeher eine Art Vorbild für wirtschaftliche und politische Führungsstrukturen. Verkörperte der Fußballlehrer Sepp Herberger eine Autoritätsperson, die sich mit Verschlagenheit und Konformität durch das nationalsozialistische Machtgefüge manövriert hatte, so schien Helmut Schön eine geduldige Vaterfigur zu sein, der man zutraute, Ratschläge auch für den Abschluss eines Bausparvertrags erteilen zu können.

Auf dem Weg in den vollends durchkapitalisierten Profisport signalisierte Schöns Schirmmütze Bodenhaftung und die Gefolgschaft der Seinigen zugleich. Der durch diese Schule gegangene Franz Beckenbauer ersetzte das Beharren auf Tradition später durch die elegante Verknüpfung von Neoliberalismus und Kooperation – eine frühe Form des „lean management“, in der einer wie er das Sagen behielt.

Inzwischen dominiert das Prinzip obsessiver Austauschbarkeit. Noch während der Meisterschaftsfeiern auf den Balkonen wehen die „Winds Of Change“. Nichts Neues, den meisten ist es egal, wer an der Seitenlinie sitzt, wenn der Ball im Dreieck tanzt.

Am Fall des Bayern-Trainers Thomas Tuchel aber lässt sich beschreiben, wie die ersehnte Rückkehr der Gunst der Fortuna nicht länger durch Plan und klare Entscheidungen begünstigt werden kann, sondern durch die Aussicht auf einen künftigen Systemwechsel.

Entscheidend ist nicht mehr, was auf dem Platz passiert. Was zählt ist die Kurserwartung. Fußball lebt nicht mehr – wie es der Frankfurter Philosoph Martin Seel einmal beschrieben hat – von der „Zelebration des Unvermögens“, die im Kern darin besteht, dass sich die Schönheit des Gelingens nicht trainieren lässt.

Allein in der Phase der Kaderplanung sind die Klubmanager ganz bei sich. Das Dilemma fast aller Trainer jedoch besteht anschließend darin, ein Personal instruieren zu müssen, das sie gar nicht bestellt haben.

Fußball, Politik und Wirtschaft verzweifeln angesichts der Herrschaft der Kontingenz. Ein Spiel geht aus wie erhofft – oder auch nicht. Das Prinzip Führung besteht aus der Organisation von Dingen, die sich nicht vollends beeinflussen lassen. Kompetenz und das Gespür für den Augenblick mögen helfen – entscheidend sind sie nicht.

Das Rezept der Stunde lautet Changemanagement, der permanente Austausch von Personal und Struktur. „Der Wechsel des Vorgesetzten gehört zu den wenigen aufregenden Ereignissen im Verwaltungsalltag“, wusste bereits der Soziologe Niklas Luhmann in seiner frühen Schrift „Der neue Chef“. „Man fühlt die Nervosität auf den Fluren der Ministerien, wenn die Wahlresultate bekanntwerden und ein neues Regime in Aussicht steht. Dann setzt die Arbeit fast aus, weil niemand recht weiß, was zu erwarten ist, und man findet für eine Weile in Gerüchten eine Art Ersatzsicherheit.“

Die Faszination des Fußballs besteht in der Feier einer solchen Ersatzsicherheit. Wie fragil diese ist, führten zuletzt die Fans vor, indem sie Tennisbälle und Schoko-Taler aufs Spielfeld warfen. Aus purer Erschöpfung ihrer Ziele und Absichten zog die Deutsche Fußballliga (DFL) das sogenannte Investorenmodell zur Aufhübschung des heimischen Fußballs zurück. Zum Prinzip Führung gehört die Antizipation des Scheiterns, die derzeit niemand so gut beherrscht wie Liverpool-Trainer Jürgen Klopp.

Harry Nutt ist Autor.

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Das Prinzip Führung

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27.02.2024

Stand: 27.02.2024, 15:13 Uhr

Von: Harry Nutt

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Zum Prinzip Leitung gehört die Antizipation des Scheiterns. Sie ergänzt oder ersetzt andere Stile des Entscheidens.

Drin oder Linie? Wegen seiner klaren Ergebnisse war Sport seit jeher eine Art Vorbild für wirtschaftliche und politische Führungsstrukturen. Verkörperte der Fußballlehrer Sepp Herberger eine Autoritätsperson, die sich mit Verschlagenheit und Konformität durch das nationalsozialistische Machtgefüge manövriert hatte, so schien Helmut Schön eine geduldige Vaterfigur zu sein, der man zutraute, Ratschläge auch für den Abschluss eines Bausparvertrags erteilen zu können.

Auf dem Weg in den vollends durchkapitalisierten Profisport signalisierte Schöns Schirmmütze Bodenhaftung und die Gefolgschaft der Seinigen zugleich. Der durch diese Schule........

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