Stand: 02.04.2024, 16:54 Uhr

Von: Harry Nutt

Kommentare Drucken Teilen

Es wird immer schwieriger, politische Symbole widerspruchsfrei zu entwerfen. Der eigene Ruhm sollte nicht das einzige Kriterium bei der Auswahl sein.

Neben der umstrittenen Dankesrede des Filmregisseurs Jonathan Glazer sendeten noch weitere Teilnehmende der Oscar-Gala von Los Angeles auf den Krieg in Gaza bezogene Botschaften. Einige Stars wie Billie Eilish, Mark Ruffalo und Ramy Youssef trugen einen Anstecker am Revers, auf dem eine rote Hand mit einem schwarzen Herz abgebildet war.

Dabei handelte es sich um das Signet der Initiative „Artists Call For Ceasefire Now“, die den Sticker zuvor bereits bei der Grammy-Verleihung etabliert hatte. Der Journalist Thierry Chervel von der Feuilleton-Plattform Perlentaucher sah sich deshalb zu einer Recherche zur Herkunft des Symbols veranlasst.

Für Israelis, so Chervel, verknüpfe sich mit der roten Hand eine klare Assoziation. „Im Oktober 2000 hatten sich zwei israelische Reservisten, Vadim Nurzhitz und Yossi Avrahami, nach Ramallah verirrt. Sie wurden erst von der Polizei aufgegriffen, dann von einer mordlustigen Menge auf das Sadistischste gelyncht.“ Die umstehende Menge sei in einen Blutrausch geraten. „Am Fenster zeigte einer der Mörder seine vom Blut gerötete Hand vor. Die Menge antwortete mit frenetischem Applaus und Geschrei.“

Chervel gestand den Hollywoodstars, die den Sticker in der Oscar-Nacht verwendet hatten, zwar zu, womöglich nichts über die blutige Bedeutung der Hand gewusst zu haben. Naivität mochte er allerdings nicht als Entschuldigung für eine derart arglos zur Schau getragene Zeichensprache gelten lassen.

Aber ist das Tragen von Symbolen nicht seit jeher vom Willen zur Vereinfachung geprägt? Seit zwei Wochen befindet sich der deutsche Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger im Zentrum einer Debatte über einen Instagram-Post, in dem er sich in traditioneller muslimischer Kleidung zeigt und mit erhobenem Zeigefinger zum Gebet niederkniet.

Zu Beginn des Fastenmonats Ramadan hatte er mit dieser Geste die Botschaft verbreitet: „Möge der Allmächtige unser Fasten und unsere Gebete annehmen.“ Für den früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt schien das ein klarer Fall einer islamistischen Bild- und Körpersprache zu sein. Über seinen Medienkanal Nius unterstellte er dem Fußballer, ein Symbol verbreitet zu haben, mit dem Terroristen auf der ganzen Welt ihre Morde feierten.

Der Fortgang der Affäre ist bekannt. Rüdiger erstattete Strafanzeige wegen Verleumdung und Volksverhetzung und verwies auf die traditionelle Verwendung des sogenannten Tauhid-Fingers, der dem christlichen Ritual entspreche, sich zu bekreuzigen.

Schon möglich, dass der bei Real Madrid spielende Innenverteidiger der deutschen Nationalelf zum Opfer einer medial aufgeheizten Verdachtskampagne geworden war, die ihn schließlich dazu veranlasste, sich plakativ gegen Gewalt und Terrorismus zu bekennen und für Frieden und Toleranz einzustehen.

Trotz der Dominanzgesten christlicher Kirchen, Synagogen und Moscheen im öffentlichen Raum gelten religiöse Praktiken in säkularen Gesellschaften weitgehend als private Angelegenheit. Aber was ist im digitalen Zeitalter noch privat?

Dem Fußballer Antonio Rüdiger folgen auf Instagram rund neun Millionen Fans, die bis weit hinein in die islamische Welt eine veritable Geschäftsgrundlage bilden für eine Karriere nach der aktiven Laufbahn. Symbole, aus welchen Kontexten auch immer, dienen der Stabilisierung des Ruhms.

Harry Nutt ist Autor.

QOSHE - Gefährliche Zeichen - Harry Nutt
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Gefährliche Zeichen

13 0
02.04.2024

Stand: 02.04.2024, 16:54 Uhr

Von: Harry Nutt

Kommentare Drucken Teilen

Es wird immer schwieriger, politische Symbole widerspruchsfrei zu entwerfen. Der eigene Ruhm sollte nicht das einzige Kriterium bei der Auswahl sein.

Neben der umstrittenen Dankesrede des Filmregisseurs Jonathan Glazer sendeten noch weitere Teilnehmende der Oscar-Gala von Los Angeles auf den Krieg in Gaza bezogene Botschaften. Einige Stars wie Billie Eilish, Mark Ruffalo und Ramy Youssef trugen einen Anstecker am Revers, auf dem eine rote Hand mit einem schwarzen Herz abgebildet war.

Dabei handelte es sich um das Signet der Initiative „Artists Call For Ceasefire Now“, die den Sticker zuvor bereits bei der Grammy-Verleihung etabliert hatte. Der Journalist Thierry Chervel von der Feuilleton-Plattform Perlentaucher sah sich deshalb zu einer Recherche zur Herkunft des........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play