Stand: 24.04.2024, 17:29 Uhr

Von: Leo Fischer

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Seltsam! Im Fernsehen scheint die Welt der Tiere noch in Ordnung - egal, ob in freier Wildbahn oder im Zoo.

In den 80ern, dem bisher besten Jahrzehnt der Menschheitsgeschichte, hatten Tier-Dokumentationen im Fernsehen einen sehr eindeutigen Auftrag: Nachdem man Piepmatz, Schnabeltier oder Bartagame eine halbe Stunde lang fressen, vögeln und krepieren gesehen hatte, trat ein langhaariger Biologe mit dramatischer Geste vor die Kamera, im Hintergrund ein von Baggern zerfressenes Tal oder ein ölverschmierter Alpengletscher.

„Noch kann der Weißdorn-Seepiepmatz zufrieden seine Langusten verzehren – doch wie lange noch? Denn sein eigentlicher Feind ist nicht der Schwarzdorn-Zeckenfrosch oder der Getüpfelte Tiger. Es sind wir. Es ist der Mensch.“ Damit war Bildungs- und Unterhaltungsauftrag abgeschlossen; wir schworen uns, fortan weniger Seepiepmatz zu essen, und fühlten uns via TV als Teil einer Umweltbewegung.

Heutige Tierdokus haben eine andere Funktion. Die Öffentlich-Rechtlichen bieten sie in zwei verschiedenen Formaten an. Einerseits als Reisen in unbekannte Welten: Die Sendungen heißen dann „Unsere Erde, der mysteriöse Planet“, „Geheimnisse aus der Tiefe“ oder „Laos Wunderland“.

Sie dienen der Suggestion, auf der vollends ausgeleuchteten, verkabelten und aufs Milligramm auf ihr Verwertungspotenzial durchanalysierten Erde gebe es noch irgendwo „unberührte“ Natur, Reservate der Vormoderne, ein Außen zum menschengemachten Biom, in welchem alle Naturkräfte in prästabilierter Harmonie walten.

Interessanterweise sind diese Sendungen aufgemacht wie Reisemagazine: als wollten sie dazu einladen, schnellstmöglich diese unbefleckten Paradiese zu bereisen und zu erschließen – bevor es die Schmidts von nebenan vor einem tun und alles verschandeln!

Die Sendungen dieser ersten Art haben aber noch eine andere Funktion. Sie helfen die Illusion erhalten, es gehe irgendwo auf dem Globus noch normal zu – als würden die Tonnen von Mikroplastik, die wir jeden Morgen mit dem Haarshampoo in die Ozeane spülen, auf magische Weise haltmachen vor eben jener verzauberten Insel oder diesem Gorillatal. Solang hier der Piepmatz noch piept und der Zeckenfrosch noch zeckt, solange ist die Welt noch in Ordnung, solange brauchen wir kein Lastenfahrrad, können wir noch Flugreisen machen!

Die andere Form der Tierdoku heißt bei den Öffentlich-Rechtlichen „Zoogeschichten“. Darunter fallen die Hunderten Folgen von „Giraffe, Erdmännchen & Co.“, samt ihren Ablegern „Elefant, Tiger & Co.“, „Panda, Gorilla & Co.“ oder „Leopard, Seebär & Co.“.

In diesen Billigvarianten von Tierdokus sehen wir Zoomitarbeiter:innen, wie sie bei den Namenspatronen ihrer Sendungen Gehege auswischen und Tröge auffüllen. Dazu brummt ein Mann aus dem Off Schwachsinn wie „Das lässt sich der alte Seeelefant so richtig gut schmecken“.

Hier wird gewissermaßen ein bürokratisches Idyll zelebriert: Die Natur ist vollständig in die Verwaltung integriert, eine ehedem fremde Welt einzigartiger Organismen im Fürsorgestaat aufgegangen. Die Natur ist hier schon gerettet, wird von Fachleuten versorgt – auch hier gilt die Parole: alles in Ordnung!

Bei Krimis spricht man ja neuerdings von Copaganda, wenn ein allzu romantisierender Blick auf die Polizeiarbeit gelegt wird. Entsprechend könnten die neuesten Tierdokus „Ökoganda“ genannt werden. Wie hoch ihr Beitrag zur Erderwärmung ist, das sollen mal die Fachleute ausrechnen!

Leo Fischer ist Autor, Stadtrat in Frankfurt (Ökolinx) und war Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“.

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Tiersendungen als Sedativum

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24.04.2024

Stand: 24.04.2024, 17:29 Uhr

Von: Leo Fischer

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Seltsam! Im Fernsehen scheint die Welt der Tiere noch in Ordnung - egal, ob in freier Wildbahn oder im Zoo.

In den 80ern, dem bisher besten Jahrzehnt der Menschheitsgeschichte, hatten Tier-Dokumentationen im Fernsehen einen sehr eindeutigen Auftrag: Nachdem man Piepmatz, Schnabeltier oder Bartagame eine halbe Stunde lang fressen, vögeln und krepieren gesehen hatte, trat ein langhaariger Biologe mit dramatischer Geste vor die Kamera, im Hintergrund ein von Baggern zerfressenes Tal oder ein ölverschmierter Alpengletscher.

„Noch kann der Weißdorn-Seepiepmatz zufrieden seine Langusten verzehren – doch wie lange noch? Denn sein eigentlicher Feind ist nicht der Schwarzdorn-Zeckenfrosch oder der Getüpfelte Tiger. Es sind wir. Es ist der Mensch.“ Damit war Bildungs- und Unterhaltungsauftrag........

© Frankfurter Rundschau


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