Stand: 15.12.2023, 17:28 Uhr

Von: Markus Decker

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Die Perspektive für einen EU-Beitritt der Ukraine darf man als von historischer Bedeutung werten. Sie ist auch Verpflichtung sein, noch einmal mehr für demokratische Werte zu streiten.

Der Gipfel der Staats- und Regierungsspitzen der Europäischen Union ist vorüber. Und unterm Strich darf man sagen: Er hat ein insgesamt gutes Ende gefunden. Zwar hat der Widerstand des ungarischen Premiers Viktor Orbán die Freigabe weiterer Milliarden-Hilfen für die Ukraine vorerst verhindert. Allerdings haben sich alle anderen Staaten – in Abwesenheit Orbáns und damit einstimmig – für Beitrittsverhandlungen mit dem von Russland attackierten Land ausgesprochen.

Diesem Votum darf man doch mit einigem Recht historische Bedeutsamkeit zurechnen. Es ist überdies ein aktueller Indikator dafür, dass die EU in sich stabil steht. Dafür muss man schon geradezu dankbar sein.

Orbán zeigt, was ein relativ kleiner EU-Staat mit nur zehn Millionen Menschen aus- und anrichten kann. Aber der mit erpresserischen Methoden agierende Rechtspopulist kann den Zug derzeit letztlich doch nicht aufhalten. Jedoch vermag er stets aufs Neue, finanzielle Vorteile für sich herauszuschlagen.

Dabei ist die Dreistigkeit dieses Mannes schwer zu überbieten. Er sagt, die Ukraine erfülle die Bedingungen für einen EU-Beitritt gar nicht. Tatsächlich ist es sein eigenes Land, das sie heute ebenfalls nicht erfüllt – etwa was Rechtsstaatlichkeit und Korruption betrifft. So gesehen muss man hoffen, dass in Ungarn geschieht, was just in Polen geschehen ist: dass sich ein demokratischer Machtwechsel vollzieht und ein Rechtsstaat eine neue Chance erhält.

Das wäre umso wünschenswerter, als die EU mittlerweile regelmäßig entscheiden muss, ob sie Budapest materielle Zugeständnisse macht – oder vor wegweisenden Entscheidungen steckenbleibt. Das birgt auch die Gefahr, dass die Methode Orbán Schule macht. Längst ist er nicht mehr allein. Seit kurzem regiert in der Slowakei abermals Robert Fico, ein Mann vom selben Schlage. Der Niederländer Geert Wilders ist auch so einer.

Eine Gefahr ist das auch, weil es auf die EU existenziell ankommt. Der Zusammenschluss von 27 Staaten ist keine Schönwetter-Festivität (falls das jemand je gedacht hat). Die EU muss sich in einer Welt behaupten, in der der Autoritarismus auf dem Vormarsch ist – ganz sicher von Osten her und auch aus dem Globalen Süden. Und dann steht auch noch zu befürchten, dass Donald Trump nächstes Jahr ein zweites Mal die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt. Das würde Schockwellen in der kleiner werdenden demokratischen Welt auslösen, zuallererst in Europa. Es droht eine Kernschmelze des Westens, vornehmlich der Nato. Damit käme es auf die EU erst recht an. Sie wäre dann endgültig eine Art gallisches Dorf – nur dass es darin nicht so lustig zuginge wie bei „Asterix & Obelix“.

Gewiss kann das Beitrittssignal an die Ukraine die Schattenseiten der Verfassung der EU nicht überstrahlen. Vielmehr ist es noch ein Warnsignal: Auf Einstimmigkeit darf man in der Gemeinschaft nicht hoffen, wenn der Beitritt mal real wird. Denn letztlich geht es den Mitgliedern immer noch knallhart um ihre eigenen Interessen. Man denke an die von der PiS für den polnischen Wahlkampf missbrauchte Konkurrenz der ukrainischen Landwirtschaft. Und der Westbalkan ist jetzt bestimmt auch neidisch auf Kiew. Drängen die sechs doch seit Jahren auf ihren EU-Beitritt – vergeblich. Gleichwohl scheinen die 27 EU-Staaten (minus Ungarn) genau zu wissen, worauf es jetzt im Kern ankommt. Das ist gut.

Gut ist schließlich, dass Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin ist – und wohl über die Europawahl hinaus bleiben wird. Die Christdemokratin ist nicht überall beliebt, auch nicht in Brüssel. Doch sie hat Kraft, Geschick und ist Demokratin durch und durch. Sechsmal war die Frau aus Niedersachsen seit Beginn der russischen Invasion in Kiew. Sie ist das Kontrastprogramm zu Viktor Orbán. Aus Überzeugung und zum Glück! Tagesthema Seiten 2/3

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15.12.2023

Stand: 15.12.2023, 17:28 Uhr

Von: Markus Decker

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Die Perspektive für einen EU-Beitritt der Ukraine darf man als von historischer Bedeutung werten. Sie ist auch Verpflichtung sein, noch einmal mehr für demokratische Werte zu streiten.

Der Gipfel der Staats- und Regierungsspitzen der Europäischen Union ist vorüber. Und unterm Strich darf man sagen: Er hat ein insgesamt gutes Ende gefunden. Zwar hat der Widerstand des ungarischen Premiers Viktor Orbán die Freigabe weiterer Milliarden-Hilfen für die Ukraine vorerst verhindert. Allerdings haben sich alle anderen Staaten – in Abwesenheit Orbáns und damit einstimmig – für Beitrittsverhandlungen mit dem von Russland attackierten Land ausgesprochen.

Diesem Votum darf man doch mit einigem Recht historische Bedeutsamkeit zurechnen. Es ist überdies ein aktueller Indikator dafür, dass die EU in sich stabil steht. Dafür muss man schon geradezu dankbar sein.

Orbán zeigt, was ein relativ........

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