Stand: 15.04.2024, 15:02 Uhr

Von: Michael Herl

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Minister Lauterbach rackert sich ab als einsamer Rufer in der Wüste. Sein Gesundheitskiosk sollte konsequent realisiert werden.

Eigentlich möchte man mit dem Mann nicht tauschen. Gemeint sind nicht seine traurige Gestalt oder sein resonanzbodenbedürftiges Stimmchen. Und dass er kein Salz isst, spricht zwar für ein Temperament im Schonkostbereich, doch auch das wäre kein Grund, nicht an seine Stelle treten zu wollen.

Es ist eher seine berufliche Position, die keinen Neid schürt. „Karl gegen den Rest der Welt“ könnte man einen Film über Gesundheitsminister Lauterbach betiteln, denn seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021 rackert er sich als einsamer Rufer in der Wüste ab – doch man wird den Eindruck nicht los, dass er sich in dieser Rolle leidlich wohlfühlt.

Seine Glanzzeit hatte er zweifellos während der Corona-Pandemie. Er versuchte seinerzeit, einem Teil der Bevölkerung zu erklären, dass wissenschaftliche Forschung aus einer Kette aus Versuch und Irrtum und abermaligem Versuch besteht und nur so die Verbreitung des Virus so schnell und so flächendeckend eingedämmt werden konnte.

Dass dabei auch Fehler entstehen, liegt in der Natur der Sache. Dennoch hagelt aus gewissen Kreisen noch immer ein Shitstorm über ihn ein – was den hageren Krieger aber offensichtlich nur noch robuster und standhafter macht.

Auch jetzt kämpft er sich wieder ab. Für mehr Medizinstudienplätze etwa oder gegen die Vergütungs-Obergrenze für Hausärzte. Zur flächendeckenden „niedrigschwelligen“ medizinischen Versorgung machte er einen Vorschlag, der zwar spontan verworfen wurde, dennoch aber äußerst apart ist. Allein schon der Name klingt sexy: „Gesundheitskiosk“.

Genau genommen haben nämlich die unzähligen Kioske, Büdchen, Wasserhäuschen, Spätis oder Trinkhallen landauf, landab eine heilsame Funktion. Sie wurden schließlich vor bald 150 Jahren in Frankfurt am Main gegründet, um dem Volke das Trinken von sauberem, mit keimtötender Kohlensäure versetztem Wasser näherzubringen. Später erweiterten sie ihr Angebot um Limonaden, Zeitungen, Süßigkeiten, Zigaretten und selbstverständlich auch Bier.

Schnell wurden sie zu beliebten Treffpunkten besonders für schlechter Betuchte, die sich einen Besuch in Gaststätten nicht leisten konnten. Die Häuschen und Lädchen wurden im Laufe ihrer Geschichte mehrfach totgesagt – doch sie hielten sich wacker. Mittlerweile will sie niemand mehr verbieten, in Nordrhein-Westfalen wurden sie gar zum immateriellen Kulturerbe erklärt, und nicht nur dort erfreuen sie sich eines wachsenden Zuspruchs.

Längst gilt es nicht mehr als schäbig, am Büdchen zu stehen und ein Bier zu trinken. Manche Kioske sind sogar richtige Szenetreffs. Die meisten aber „nehmen als typische Treffpunkte eine wichtige Funktion für die Nachbarschaft ein und stellen Orte der Integration und des Austausches dar“, wie es das Kulturministerium in Nordrhein-Westfalen formulierte. Für viele wird das auch wieder so nötig wie einst. Denn Besuche in Gaststätten können sich immer weniger leisten.

Was also spricht dagegen, in den häufig geräumigen Häuschen auch noch ein Eckchen für eine „niedrigschwellige“ medizinische Erstversorgung einzurichten? Das würde so manchem die Hemmung nehmen, einen Arzt aufzusuchen. Und Angebote für eine qualifizierte Gesprächstherapie gibt es dort sowieso. Das erledigen die Stammgäste unter sich.

Michael Herl ist Theatermacher und Autor.

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Karl gegen den Rest der Welt

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15.04.2024

Stand: 15.04.2024, 15:02 Uhr

Von: Michael Herl

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Minister Lauterbach rackert sich ab als einsamer Rufer in der Wüste. Sein Gesundheitskiosk sollte konsequent realisiert werden.

Eigentlich möchte man mit dem Mann nicht tauschen. Gemeint sind nicht seine traurige Gestalt oder sein resonanzbodenbedürftiges Stimmchen. Und dass er kein Salz isst, spricht zwar für ein Temperament im Schonkostbereich, doch auch das wäre kein Grund, nicht an seine Stelle treten zu wollen.

Es ist eher seine berufliche Position, die keinen Neid schürt. „Karl gegen den Rest der Welt“ könnte man einen Film über Gesundheitsminister Lauterbach betiteln, denn seit seinem Amtsantritt im Dezember 2021 rackert er sich als einsamer Rufer in der Wüste ab – doch man wird den Eindruck nicht los, dass er sich in dieser Rolle leidlich........

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