Stand: 19.02.2024, 17:28 Uhr

Von: Michael Herl

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Früher haben viele Klamotten aus Katalogen bestellt. Das war auch nicht nachhaltig. Man überlebte es aber, die Ware nicht am nächsten Tag geliefert zu bekommen.

Eigentlich ist der Hitler am Online-Handel schuld. Aha, denkt man sich bei dieser Behauptung. Da haben sich die Verschwörungsschwurbler wieder was ausgedacht. Karl Lauterbach ist ein reptiloider Außerirdischer, der Deutsche Landfrauenverband eine kleine geheime Oligarchie, der Thermomix stammt aus dem Labor der CIA, und mit Amazon wollte Adolf Hitler…

Halt! Alles Quatsch. Dem geisteskranken Österreicher lässt sich so mancherlei Unbill zuschreiben, mit der zunehmenden Attraktivität des Einkaufs im Internet hat er hingegen nichts zu tun. Jedenfalls nicht direkt. Aber indirekt vielleicht ein bisschen?

Nehmen wir doch mal meine Oma Elsa. Während sie samt Familie auf dem Land untergebracht war, bombardierten die Alliierten die Städte, so auch ihr Wohnhaus. Opa Fritz, der alte Nazi, war zurecht noch in Gefangenschaft, und Oma Elsa stand zu Kriegsende vor einem Neuanfang. Außer einem Koffer mit ein paar Kleidungsstücken besaß sie nichts mehr. Also musste alles neu erworben werden.

So wie ihr erging es Millionen anderer, darunter auch viele sogenannte Heimatvertriebene aus den einstigen deutschen Ostgebieten. Es wurden also schnell bezahlbare Güter benötigt – da schlug die Stunde der Versandhändler.

Der spätere Platzhirsch Neckermann etwa veröffentlichte im April 1950 seinen ersten Katalog. Ein zwölfseitiges Heftchen, dem er schlitzohrigerweise den Titel „Preisliste 119“ gab, um so eine lange Firmentradition vorzutäuschen.

In diesem Katalog wurde auch eine weinrote Chaiselounge (bei uns „Schesslong“ genannt) angeboten, die Oma erstand. Nur wenige Jahre später waren die Kataloge von Neckermann und dessen großen Konkurrenten Quelle und Otto bis zu tausend Seiten stark, wogen etwa zweieinhalb Kilogramm und wurden zweimal im Jahr in einer Gesamtauflage von bis zu zehn Millionen unters Volk gebracht.

Zur Verdeutlichung: Wir reden von etwa 25 000 Tonnen Papier, die jeweils im Frühjahr und im Herbst von der Deutschen Bundespost quer durch die Republik transportiert wurden. Geordert wurde dann entweder telefonisch, meist aber mittels eines Bestellzettels, der den Katalogen beigelegt war.

Er wurde nach oft langen Sitzungen des Familienrats säuberlich ausgefüllt und per Brief weggeschickt. Zwei Wochen später kam dann abermals der Paketbote. Man überlebte es übrigens, eine Ware nicht am nächsten Tag geliefert zu bekommen.

Ein Hin und Her aber war es schon damals. Gefiel oder passte ein Artikel nicht, wurde er zurückgeschickt, und man bekam Ersatz geliefert. Gewiefte ließen sich schon damals Kleidungsstücke in mehreren Größen zukommen.

Die Kataloge landeten dann in der einen Mülltonne, also jener, die sich heute für „Restmüll“ zuständig zeigt. Eine andere gab es nicht. Nachhaltig war das alles jedenfalls schon früher nicht.

Das Prinzip Versandhandel hingegen war das gleiche wie heute – nur halt ohne Internet. Also waren Neckermann und Co. die Wegbereiter für den Kauf auf Knopfdruck? Womöglich.

Und ob die Bombardements und mithin der doofe Hitler daran schuld waren, ist letztlich egal. Das rote Schesslong jedenfalls stand dreißig Jahre lang bei Oma im Wohnzimmer – bis ich es nach ihrem Tod mitnahm in meine erste WG. Da hielt es keine sechs Monate mehr.

Michael Herl ist Theatermacher und Autor.

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Versandhandel ohne Internet

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19.02.2024

Stand: 19.02.2024, 17:28 Uhr

Von: Michael Herl

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Früher haben viele Klamotten aus Katalogen bestellt. Das war auch nicht nachhaltig. Man überlebte es aber, die Ware nicht am nächsten Tag geliefert zu bekommen.

Eigentlich ist der Hitler am Online-Handel schuld. Aha, denkt man sich bei dieser Behauptung. Da haben sich die Verschwörungsschwurbler wieder was ausgedacht. Karl Lauterbach ist ein reptiloider Außerirdischer, der Deutsche Landfrauenverband eine kleine geheime Oligarchie, der Thermomix stammt aus dem Labor der CIA, und mit Amazon wollte Adolf Hitler…

Halt! Alles Quatsch. Dem geisteskranken Österreicher lässt sich so mancherlei Unbill zuschreiben, mit der zunehmenden Attraktivität des Einkaufs im Internet hat er hingegen nichts zu tun. Jedenfalls nicht direkt. Aber indirekt vielleicht ein........

© Frankfurter Rundschau


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