Stand: 13.03.2024, 07:42 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Das CDU-Programm setzt repressiven Sicherheitspolitik und Leitkultur gegen soziale Sprengkräfte der Gesellschaft ein. Neue Ideen? Fehlanzeige.

Stuttgart – Am vergangenen Wochenende hat das Intelligenzblatt der wutbürgerlichen Mitte begonnen, die Ziele seiner künftigen Regierung zu skizzieren. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte gerade in Stuttgart das neue Grundsatzprogramm seiner Partei präsentiert, und Bild fasste zusammen: „Vor allem zwei Themen standen für Merz im Mittelpunkt: Wohlstand und Freiheit.“ Damit dürfte geklärt sein, warum diese Partei mit ihrer Schwester CSU die gleichen Umfragewerte hat wie alle Parteien der gescheiterten Ampel-Regierung zusammen: Sie ist für „Wohlstand und Freiheit“, und es darf vermutet werden, dass diese beiden Dinge genauso beliebt sind wie Friede, Freude und Eierkuchen zusammen. Sicher, für „Wohlstand und Freiheit“ sind auch andere, aber darum ging es gerade nicht.

Der Aufsatz aus Stuttgart arbeitete auch vorbildlich heraus, was Wohlstand und Freiheit bedeuten: „In Sachen Wohlstand bezog sich Merz … vor allem auf das Aus für Verbrennungsmotoren. ,Es ist nicht nur technologisch falsch, diese Technologie zu verbieten‘, sagte Merz. Man müsse offen für alle Technologien bleiben.“ Wir verkneifen uns den Spruch „Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein“ und notieren stattdessen: Wer Wohlstand will, bleibt „offen“ für die Ausbeutung fossiler Rohstoffe und die Klimaschäden, die sie erzeugen.

Kurzer Einschub: An dieser Stelle würde zum Beispiel Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, einwenden: „Durch den Einsatz von beispielsweise Biodiesel kann der Fahrzeugbestand schnell klimafreundlicher fahren“ (so sein Zitat aus dem vergangenen Jahr). Nun ja, das stimmt – jedenfalls dann, wenn man vergisst, wie der klimaschonende Regenwald etwa in Brasilien zerstört und durch Zuckerrohranbau für Biosprit ersetzt wird.

Aber wie ist das mit der Freiheit? Sie steckt zwar vor allem, aber nicht nur im Auto, denn, Bild fasst zusammen: „Das Thema Freiheit ist für die CDU zentral.“ Sie muss also verteidigt werden, die Freiheit, nicht nur, weil Merz es „schlimm“ findet, „dass junge Menschen nachts ein ungutes Gefühl in der U-Bahn hätten“ (Bild), sondern auch gegen die Bedrohung aus dem Osten, was die SPD bekanntlich noch nie gewollt hat.

Ein letztes Mal Bild, versprochen: Merz wolle sich gar nicht vorstellen, „,wie die Geschichte dieses Kontinents verlaufen wäre, wenn die Sozialdemokraten sich in der Vergangenheit mehr durchgesetzt hätten‘. Die CDU habe die Bundeswehr eingeführt, Deutschland in die Nato gebracht – alles gegen die Widerstände der SPD.“ Da taucht er mal wieder im Hintergrund auf, der Landesverräter Willy Brandt.

So weit die banalstmögliche Version der neuen CDU. Ausführlicher findet sich das Ganze im bereits zitierten Entwurf für das Grundsatzprogramm. Da steht geschrieben, was uns nach der Bundestagswahl 2025 bevorstehen könnte: An die Stelle einer Regierung, die sich im Streit zwischen grün-rot abgemildertem und radikalem Neoliberalismus blockiert, könnte die Hegemonie eines nationalkonservativen und zugleich marktliberalen Gesellschaftsmodells treten.

Vorab: Dieser Entwurf enthält keine Spur des schnarrenden, testosterongeladenen Befehlstons, der einst die konservativ-nationalen Ansagen durchzog. Ansprüche wie die Gleichberechtigung der Geschlechter stehen ganz selbstverständlich da, immer vorausgesetzt, es wird nicht gegendert. Da hat der Merkelismus, der das neoliberale Konzept mit einer gewissen Akzeptanz für gesellschaftliche Fortschritte verband, seine Spuren hinterlassen.

In der Sache allerdings ist es mit der Liberalität dann doch nicht so weit her. Im Kapitel „Wo wir hinwollen“ heißt es gleich zu Beginn: „Wir Christdemokraten werden geleitet von der Idee der Freiheit. Frei kann nur sein, wer in Sicherheit lebt.“ Wer nun auf die Idee käme, es könne hier die Sicherheit vor sozialem Abstieg und Armut gemeint sein oder die Sicherheit vor den Folgen eines kaum gebremsten Klimawandels, wird nicht so schnell fündig, sondern muss sich zunächst durch die Kapitel zu innerer und äußerer Sicherheit, zur Notwendigkeit einer „Leitkultur“, zur Bedeutung von Familie und Religion und zum gemeinschaftsbildenden Sinn von „Heimat“ arbeiten.

FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

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Es folgt zwar immerhin das Bekenntnis zu mehr Geld für Bildung, aber dann: eine Wiederholung bekannter Leitsätze zur sozialen Marktwirtschaft, einschließlich einer „attraktiven Unternehmensteuer“, und erst danach die Abschnitte zu Arbeit und Sozialem – mit einem grundsätzlichen Bekenntnis zum Mindestlohn, aber ohne jede Ansage zur Umverteilung von Reichtum oder sozialen Verbesserungen. Im Gegenteil, gerade aktuell, die Forderung nach einer „für alle verpflichtenden kapitalgedeckten Altersvorsorge“. Und noch danach, ach ja, der Klimaschutz.

Am Anfang aber und über allem steht der „starke Staat“ – nicht stark in Sachen ökonomischer und sozialer Steuerung, sehr wohl aber bei der inneren Sicherheit. Was „eine gute Ausstattung und entsprechende Befugnisse für unsere Polizei“ bedeuten, wird nicht näher erläutert, aber zumindest beim Thema Datenschutz wird klar, wo die Prioritäten liegen: „Der Schutz der Menschen und die Sicherheitsinteressen unseres Staates müssen Vorrang vor Datenschutzinteressen des Einzelnen haben.“

Interessant, wie hier die gesellschaftliche Aufgabe des Schutzes der informationellen Selbstbestimmung zum „Interesse des Einzelnen“ degradiert wird, während der Wunsch von Sicherheitsbehörden nach immer mehr Befugnissen zur unkontrollierten Überwachung Vorrang erhält.

So entsteht das Bild einer Gesellschaft, die den sozialen Sprengkräften unserer Zeit und unseres Wirtschaftssystems durch eine repressive Sicherheitspolitik und eine nationale Leitkultur zu begegnen versucht, ohne den ökonomischen, sozialen und ökologischen Verwerfungen etwas entgegenzusetzen.

Es muss kaum erwähnt werden, was zum „Schutz“ einer solchen Gesellschaft eben auch gehört: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“

Es wäre das faktische Ende dessen, was vom deutschen und europäischen Asylrecht noch übrig ist. Und es wäre ein weiterer Beleg, dass der Anspruch auf „Freiheit und Wohlstand“ im modernen Konservatismus längst nicht für alle gilt.

Da hier gerade von der ideologischen Ausrichtung der CDU die Rede war, passt es ganz gut, an eine leider verstummte Debatte zu erinnern. Es geht um die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz. Die Unionsparteien, die für eine verfassungsändernde Mehrheit benötigt würden, haben kürzlich nach einigem Hin und Her abgewunken.

Der Vorstoß aus den Reihen der Ampel-Koalition war sicher einer Angst vor Mehrheiten für die AfD geschuldet, die sich hoffentlich als übertrieben erweist. Aber er stellte auch eine logische Konsequenz aus der Erfahrung dar, dass die illiberale Rechte, wenn sie erst einmal regiert, solche Kontrollinstanzen zu entmachten versucht – siehe Polen, siehe Israel, siehe Donald Trump. Wäre die Struktur des Gerichts im Grundgesetz verankert, ließe sie sich nur noch mit Zweidrittel-Mehrheit ändern.

Die CSU-Politikerin Andrea Lindholz hatte für das Nein der Unionsparteien eine interessante Begründung: „Gute Sachpolitik, die die Menschen überzeugt“, sei „weitaus wichtiger als eine öffentliche Debatte über Grundgesetzänderungen“. Bei allem Verständnis für die Skepsis gegenüber solchen Eingriffen: Gehört Frau Lindholz nicht einer Partei an, die sehr gern das Grundgesetz änderte, als es darum ging, das Asylrecht einzuschränken? Oder darum, ein Kernelement neoliberaler Ideologie in die Verfassung zu schreiben, nämlich die Schuldenbremse?

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CDU-Grundsatzprogramm: „Wohlstand und Freiheit“ – aber für wen?

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13.03.2024

Stand: 13.03.2024, 07:42 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Das CDU-Programm setzt repressiven Sicherheitspolitik und Leitkultur gegen soziale Sprengkräfte der Gesellschaft ein. Neue Ideen? Fehlanzeige.

Stuttgart – Am vergangenen Wochenende hat das Intelligenzblatt der wutbürgerlichen Mitte begonnen, die Ziele seiner künftigen Regierung zu skizzieren. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte gerade in Stuttgart das neue Grundsatzprogramm seiner Partei präsentiert, und Bild fasste zusammen: „Vor allem zwei Themen standen für Merz im Mittelpunkt: Wohlstand und Freiheit.“ Damit dürfte geklärt sein, warum diese Partei mit ihrer Schwester CSU die gleichen Umfragewerte hat wie alle Parteien der gescheiterten Ampel-Regierung zusammen: Sie ist für „Wohlstand und Freiheit“, und es darf vermutet werden, dass diese beiden Dinge genauso beliebt sind wie Friede, Freude und Eierkuchen zusammen. Sicher, für „Wohlstand und Freiheit“ sind auch andere, aber darum ging es gerade nicht.

Der Aufsatz aus Stuttgart arbeitete auch vorbildlich heraus, was Wohlstand und Freiheit bedeuten: „In Sachen Wohlstand bezog sich Merz … vor allem auf das Aus für Verbrennungsmotoren. ,Es ist nicht nur technologisch falsch, diese Technologie zu verbieten‘, sagte Merz. Man müsse offen für alle Technologien bleiben.“ Wir verkneifen uns den Spruch „Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein“ und notieren stattdessen: Wer Wohlstand will, bleibt „offen“ für die Ausbeutung fossiler Rohstoffe und die Klimaschäden, die sie erzeugen.

Kurzer Einschub: An dieser Stelle würde zum Beispiel Thomas Bareiß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, einwenden: „Durch den Einsatz von beispielsweise Biodiesel kann der Fahrzeugbestand schnell klimafreundlicher fahren“ (so sein Zitat aus dem vergangenen Jahr). Nun ja, das stimmt – jedenfalls dann, wenn man vergisst, wie der klimaschonende Regenwald etwa in Brasilien zerstört und durch Zuckerrohranbau für Biosprit ersetzt wird.

Aber wie ist das mit der Freiheit? Sie steckt zwar vor allem, aber nicht........

© Frankfurter Rundschau


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