Stand: 13.02.2024, 16:21 Uhr

Von: Stephan Hebel

Kommentare Drucken Teilen

Eine Partei oder gesellschaftliche Bewegung, die soziale Gerechtigkeit, Klimawende und Anti-Diskriminierung unter einen Hut bringt, ist in Deutschland nicht in Sicht.

Vor knapp einer Woche fand im Frankfurter Haus am Dom eine Podiumsdiskussion statt, die jede Menge Lehrmaterial bot. Jedenfalls für diejenigen, die an der Idee einer sozial-ökologischen Transformation unseres Wirtschaftssystems festhalten wollen, allen Widerständen zum Trotz. Und weil auch Janine Wissler beteiligt war, die Vorsitzende der Linkspartei, kann hier gleich hinzugefügt werden: Auch über die Frage, wie linke Politik zu dieser Wende beitragen könnte, war hier jede Menge zu lernen.

Wer die Veranstaltung im Original erleben möchte, sucht auf Youtube nach dem Haus am Dom und findet die Aufzeichnung unter „Dirks‘ Streitbar – Krise. Macht. Arbeit“. Hier sollen nur ein paar Impulse näher betrachtet werden, die der Abend für zentrale Fragen unserer Tage gegeben hat: Wie kann die sozial-ökologische Wende auf eine Weise gelingen, die dem schwindenden Vertrauen in die herrschende Politik etwas entgegensetzt? Wie könnte eine Alternative zum Stückwerk der Regierenden aussehen, die gleichzeitig den autoritären, rassistischen und unsozialen Visionen der extremen Rechten Paroli bietet?

Hans-Jürgen Urban, sowohl Soziologe als auch Vorstandsmitglied der IG Metall, glaubt einen Ansatz entdeckt zu haben. Er spricht von einer neuen „Gebrauchswert-Orientierung“ von Beschäftigten und meint damit: „Was man produziert, soll auch einen gesellschaftlichen Nutzen haben.“ Der kann in der Reduzierung klimaschädlicher Emissionen bestehen, Stichwort Elektroautos. Er kann auch darin liegen, auf ein verträgliches Verhältnis zwischen Job und Freizeit zu setzen, sprich: Arbeitszeitverkürzung, wie sie Urbans Gewerkschaft inzwischen deutlich auf die Tagesordnung setzt. Am besten in beidem zugleich.

Mit anderen Worten: Nicht mehr der reine „Tauschwert“ bestimmt alles, also nicht mehr nur der „Verkauf“ der eigenen Arbeitskraft an diejenigen, die unter Vernachlässigung ökologischer und sozialer Aspekte herstellen, was sich vermarkten lässt. Lebensqualität – individuell und für die Gesellschaft – gewinnt an Bedeutung, auch wenn die Forderung nach angemessenem Lohn natürlich bestehen bleibt.

Sollte sich diese „Gebrauchswert-Orientierung“ durchsetzen, wäre sicher ein bedeutender Schritt getan, sowohl bei der gesellschaftlichen Akzeptanz einer Klimawende als auch in der sozialen Frage nach der Qualität von Arbeit. Allerdings, diese Erfahrung haben sowohl Hans-Jürgen Urban in den Betrieben als auch Janine Wissler in der politischen Arbeit gemacht: So groß das Bewusstsein von der Notwendigkeit der sozial-ökologischen Wende ist, so groß ist auch die Angst vor dem Verlust eben jenes Wohlstands, der seit dem Beginn der Industrialisierung auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruht.

Stephan Lessenich, Chef des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt, spricht vom „Spagat“ zwischen dem Wunsch, am fossilen Wohlstandsmodell festzuhalten, und dem Wissen, dass genau dieses Modell nicht einfach fortgesetzt werden kann: „Im Subjekt“, so Lessenich, „kreuzen sich diese Ansprüche“. Womit das Dilemma unserer Zeit, das bei vielen Menschen zu einer absolut nachvollziehbaren Verunsicherung führt, brillant zusammengefasst wäre.

Aber wie könnte eine politische Antwort aussehen, die etwas anderes tut, als benachteiligte Gruppen gegeneinander auszuspielen, wie das leider auch im etablierten politischen Spektrum geschieht – Bürgergeld-Abhängige gegen Niedriglohn-Beziehende, Niedriglohn-Beziehende gegen Migrantinnen und Migranten und so weiter? Die Antwort, die Janine Wissler gab, darf als Auftrag an ihre eigene Partei verstanden werden: Ein sozial-ökologisches, besser noch ein „generell gesellschaftliches“ Bündnis müsse sich daran machen, soziale Schutzstandards „neu zu erkämpfen“, nicht nur, aber auch im Arbeitsleben.

Wenn der CO2-Preis erhöht werde, aber das Klimageld auf sich warten lasse; wenn ein Heizungsumbau angestrebt, aber nicht mit einem „vernünftigen Förderkonzept“ verbunden werde; wenn prekäre Arbeitsformen wie bei Fahrradboten oder „Clickworkern“ im IT-Bereich um sich griffen; wenn VW-Beschäftigte für Elektromobilität seien, aber um ihren Arbeitsplatz fürchteten, weil die politischen Rahmenbedingungen für den Absatz der neuen Autos fehlten – dann drohten eben jene Verunsicherungen oder gar „sozialen Kipppunkte“, die der extremen Rechten den „Nährboden“ lieferten. Und da helfe nur eins: „die Debatte über die Umverteilung von Reichtum nach vorne zu stellen“ – gerade auch beim Klimaschutz, ohne diesen aber infrage zu stellen.

FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

fr.de/hebel-meint

Live erleben können Sie Stephan Hebel am Mittwoch, 21. Februar in der Evangelischen Akademie Frankfurt. In der Reihe „Humor ist...“ diskutiert er mit ZDF-Redakteur Dietrich Krauß über die jüngste Folge der Satiresendung „Die Anstalt“, die zu Beginn des Abends gezeigt wird. Mittwoch, 21. Februar, 19.30 Uhr, in der Evangelischen Akademie, Römerberg 9. Infos und Anmeldung unter https://www.evangelische-akademie.de/ kalender

Zum Vormerken: Die nächste Folge der Reihe „Hebels aktuelle Stunde“ im Club Voltaire findet am Donnerstag, 11. April um 19 Uhr statt.

Die zwingende Verbindung von Ökologie und Gerechtigkeit ist damit sicher zutreffend beschrieben. Aber warum ist dieser Weg derzeit „nicht mehrheitsfähig“, wie Stephan Lessenich angesichts der Drei-Prozent-Umfragen für die Linkspartei noch zurückhaltend bemerkt?

Die Antwort, stark vereinfacht: Weil es eine Linke, die den sozial-ökologischen Ansatz programmatisch verkörpert, bisher schlicht und einfach nicht gibt – weder als Partei noch als gesellschaftliche Bewegung. Ansätze, sehr gute sogar, existieren zwar: Verdi und Fridays for Future mobilisieren Busfahrerinnen und -fahrer für bessere Löhne und zugleich für eine Verkehrswende, die gut bezahlte Beschäftigte braucht (Motto: „Wir fahren zusammen“). Und auch die IG Metall hat sich der Ökologiebewegung in den vergangenen Jahren geöffnet (und umgekehrt).

Aber die Partei, die den Namen „Linke“ trägt, hat vor der öko-sozialen Herausforderung in den vergangenen Jahren kläglich versagt (bei der Versöhnung von Verteilungsfragen mit Themen wie Migration oder Antirassismus übrigens ebenfalls). Lange, viel zu lange war sie mit Sahra Wagenknecht beschäftigt, die Ökologie, humanitäre Migrationspolitik oder Identitätsfragen gern als Hobby urbaner Bürgerkinder abtut. Und auch nach Wagenknechts Abgang ist nicht ausgemacht, ob die Rest-Linke es schafft, soziale Gerechtigkeit, Klimawende und Anti-Diskriminierung unter einen Hut zu bringen.

Nur das allerdings, so die Lehre für die Linke, könnte ihr Platz jenseits der von der FDP getriebenen Ampel, der immer radikaler neoliberalen Union, der ökologisch halbblinden Wagenknecht-Partei und der extremen Rechten sein. Emanzipation ist nicht teilbar, könnte ihr Motto lauten, sie muss für Betroffene von Armut, Klimawandel oder Rassismus gleichermaßen gelten. Wenn das nicht mal reichen würde für fünf Prozent bei Wahlen, liefe noch mehr schief in Deutschland als gedacht.

Hier ein paar Qualitäts- und Programmrichtlinien des ZDF: „Das ZDF fördert mit seinen programmlichen Angeboten Diversität und Inklusion ebenso wie Gleichstellung und Chancengerechtigkeit. (…) Die Angebote sind zu einer kritischen Haltung gegenüber allen Erscheinungen verpflichtet, die sich gegen Demokratie und Rechtsstaat richten. (…) Die Angebote fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. (…) Sie dienen der friedlichen Verständigung unter den Völkern und der Achtung des Selbstbestimmungsrechtes aller Menschen.“

Ähnliches findet sich überall bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Und jetzt schauen Sie doch nochmal rein in die jüngste Sendung von Markus Lanz mit dem AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Falls Sie dieses Musterbeispiel der Anbiederei an einen Protagonisten menschenfeindlicher Politik ertragen (dem andere Sender leider nicht nachstehen).

Ja, öffentlich-rechtliche Sender „richten sich an Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft“ (ZDF). Aber wo steht, dass sie verpflichtet sind, den für Rechtsextremismus anfälligen „Teilen der Gesellschaft“ die faschistoide Propaganda frei Haus zu liefern, statt ihr eine an den eigenen Grundsätzen orientierte Analyse gegenüberzustellen? Demokratischer Journalismus geht anders!

QOSHE - Die Linke, die wir brauchen - Stephan Hebel
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Die Linke, die wir brauchen

17 2
13.02.2024

Stand: 13.02.2024, 16:21 Uhr

Von: Stephan Hebel

Kommentare Drucken Teilen

Eine Partei oder gesellschaftliche Bewegung, die soziale Gerechtigkeit, Klimawende und Anti-Diskriminierung unter einen Hut bringt, ist in Deutschland nicht in Sicht.

Vor knapp einer Woche fand im Frankfurter Haus am Dom eine Podiumsdiskussion statt, die jede Menge Lehrmaterial bot. Jedenfalls für diejenigen, die an der Idee einer sozial-ökologischen Transformation unseres Wirtschaftssystems festhalten wollen, allen Widerständen zum Trotz. Und weil auch Janine Wissler beteiligt war, die Vorsitzende der Linkspartei, kann hier gleich hinzugefügt werden: Auch über die Frage, wie linke Politik zu dieser Wende beitragen könnte, war hier jede Menge zu lernen.

Wer die Veranstaltung im Original erleben möchte, sucht auf Youtube nach dem Haus am Dom und findet die Aufzeichnung unter „Dirks‘ Streitbar – Krise. Macht. Arbeit“. Hier sollen nur ein paar Impulse näher betrachtet werden, die der Abend für zentrale Fragen unserer Tage gegeben hat: Wie kann die sozial-ökologische Wende auf eine Weise gelingen, die dem schwindenden Vertrauen in die herrschende Politik etwas entgegensetzt? Wie könnte eine Alternative zum Stückwerk der Regierenden aussehen, die gleichzeitig den autoritären, rassistischen und unsozialen Visionen der extremen Rechten Paroli bietet?

Hans-Jürgen Urban, sowohl Soziologe als auch Vorstandsmitglied der IG Metall, glaubt einen Ansatz entdeckt zu haben. Er spricht von einer neuen „Gebrauchswert-Orientierung“ von Beschäftigten und meint damit: „Was man produziert, soll auch einen gesellschaftlichen Nutzen haben.“ Der kann in der Reduzierung klimaschädlicher Emissionen bestehen, Stichwort Elektroautos. Er kann auch darin liegen, auf ein verträgliches Verhältnis zwischen Job und Freizeit zu setzen, sprich: Arbeitszeitverkürzung, wie sie Urbans Gewerkschaft inzwischen deutlich auf die Tagesordnung setzt. Am besten in beidem zugleich.

Mit anderen Worten: Nicht mehr der reine „Tauschwert“ bestimmt alles, also nicht mehr nur der „Verkauf“ der eigenen Arbeitskraft an diejenigen, die unter Vernachlässigung ökologischer und sozialer Aspekte herstellen, was........

© Frankfurter Rundschau


Get it on Google Play