Stand: 16.01.2024, 16:39 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Wer die Demokratie verteidigen will, muss erkennen: Sie wird nicht nur von rechts unter Druck gesetzt, sondern auch durch ein als alternativlos verkauftes Wirtschaftssystem.

So etwas hören wir selten in diesen Zeiten: „Es ist so hoffnungsvoll.“ Der Satz stammt von Luisa Neubauer, der bekanntesten Aktivistin von Fridays for Future in Deutschland. Sie hat ihn am Sonntagnachmittag auf „X“ gepostet, als tausende Menschen, nach ihren Angaben 25 000, sich am Brandenburger Tor in Berlin versammelt hatten. Das Motto der Demonstration, zu der die „Fridays“ kurzfristig aufgerufen hatten, war denkbar einfach: „Demokratie verteidigen“.

Ja, es ist ein Hoffnungszeichen, wenn Zigtausende in Berlin und anderen Städten spontan auf die Straße gehen „für eine wehrhafte Demokratie, gegen den Faschismus“, wie Luisa Neubauer schrieb. Es macht Mut, dass so viele erschrecken, wenn bekannt wird, wie in den braunen Biotopen des Rechtsextremismus und seiner Partei, der AfD, die Fantasien von gewaltsamer Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile blühen. Dieser Protest, so dringend notwendig er ist, kann allerdings nur ein Anfang sein. Die Demokratie zu verteidigen, wird nur gelingen, wenn Demokratinnen und Demokraten sich einer zusätzlichen Anstrengung unterziehen: Sie müssen sich auch fragen, wo der Zustand dieser Demokratie denjenigen in die Hände spielt, die sie verachten.

Das ist, zugegeben, ein schwieriges Thema. Wer die Ursachen für den wachsenden Einfluss der extremen Rechten zu verstehen versucht, gerät schnell in Verdacht, für die AfD und die sie Wählenden Verständnis zu haben. Aber darum geht es nicht. Es stimmt ja, dass sich die Wahl einer derart menschenverachtenden Partei mit Unzufriedenheit, Verunsicherung und Protest nicht rechtfertigen lässt. Und doch wäre es fahrlässig, sich nicht an der Frage zu versuchen, wie der Humus entsteht, der die braunen Biotope nährt.

Die Suche nach Antworten muss bereits dort beginnen, wo die AfD den Kampf um Meinungsführerschaft begonnen, aber nicht – oder noch nicht – gewonnen hat. Zum Beispiel bei den Protesten der Bäuerinnen und Bauern.

Dass Vernichtungssymbole wie Galgen mit Menschenverachtung viel und mit legitimem Protest nichts zu tun haben, liegt auf der Hand, und ähnlich sieht es mit der aggressiven, offensichtlich von rechten Kreisen initiierten Blockade gegen einen Minister aus, der mit der Fähre nach Hause fahren will. Die Appelle zur Mäßigung, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Beachtung demokratischer Regeln nahmen denn auch kein Ende.

Es war allerdings der angegriffene Wirtschaftsminister Robert Habeck selbst, der nach der Protestaktion am Hafen von Schlüttsiel die Unzulänglichkeit solcher Appelle deutlich machte. Dumm nur, dass er den Fehler, den er erst offenlegte, gleich im Anschluss selbst wiederholte. Wie das?

Am Montag nach der Protestaktion an der Fähre verbreitete Habeck ein bemerkenswertes Video. Dort tat er zunächst etwas, das sowohl in den Unterstützungsbotschaften als auch in den Mäßigungsappellen an die Demonstrierenden immer wieder unterzugehen drohte: Als ehemaliger Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein schilderte er glaubhaft die strukturellen Probleme der Landwirtschaft: vor allem das Preisdiktat durch die verarbeitende Industrie und den Handel sowie den dadurch entstehenden Druck, der zu immer noch gesteigerter Massenproduktion und zur akuten Bedrohung kleinerer, naturnäher arbeitender Höfe führt.

FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

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Den spekulativen Einstieg agrarfremder Unternehmen in den Handel mit Grund und Boden hätte der Minister zusätzlich erwähnen können, aber immerhin: Wichtige Gründe für berechtigte Unzufriedenheit bei Bäuerinnen und Bauern hatte er benannt, in ziemlich deutlichem Gegensatz übrigens zum Bauernverband, der die industrielle Großlandwirtschaft mindestens ebenso eifrig vertritt wie die im Wortsinn bäuerliche. Und darin steckte auch ein durchaus treffender Hinweis auf die paradoxe Situation, dass die Demonstrierenden in ihrer Mehrheit zwar gegen den Staat für die Subventionen kämpfen, die sie vor dem Preisdruck von Industrie und Handel ein wenig schützen sollen, nicht aber gegen die Verursacher dieses Drucks in der Wirtschaft.

An dieser Paradoxie wiederum ist die Politik nicht schuldlos, und auch das lässt sich leider an Habecks Auftritt zeigen. Denn seiner zutreffenden Beschreibung der Machtverhältnisse auf den Agrarmärkten folgte an Ideen, wie sie zu verändern seien: nichts. Kein Bekenntnis zu einer Politik, die den Erzeugerinnen und Erzeugern auskömmliche Preise für umweltgerecht hergestellte Produkte garantieren würde; kein Konzept, nach dem dadurch steigende Lebensmittelpreise sozial gerecht abgefedert werden könnten; keine Ansage, die Verwandlung von Ackerflächen in Spekulationsobjekte zu stoppen. Glaubt irgendjemand, die wieder einmal aus der Schublade geholte Tierwohlabgabe, so vernünftig wie ist, könnte all diese Leerstellen füllen?

Stattdessen: Ja, über faire Preise für Bauern müsse man jetzt „ernsthaft diskutieren“, aber im Haushalt müsse nun mal gespart werden, da komme die Regierung am Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht vorbei; dazu ein verklausulierter Hinweis darauf, dass die Grünen ja eigentlich gern an der Schuldenbremse etwas ändern würden, und dann: der Appell, die Verunsicherung nicht „von Extremisten kapern zu lassen“ und stattdessen die beste Demokratie der deutschen Geschichte zu verteidigen.

Ist es nicht nachvollziehbar, wenn das für manche Zuhörenden hohl und leer klingt? Wenn ein kleiner Bauer, eine ökologisch ausgerichtete Bäuerin fragt, ob das wirklich die bestmögliche Demokratie sei, die sie nicht davor schützt, auf Gedeih und Verderb zu wachsen oder vom Nachbarbetrieb geschluckt zu werden?

Hier scheint das tiefergehende Problem zu liegen, nicht nur in Sachen Landwirtschaft: Die Demokratie steht nicht nur von rechts unter Druck, sondern auch durch ein ökonomisches System, das den Leuten seit Jahrzehnten als alternativlos verkauft worden ist, gerade so, als wäre Demokratie ohne einen neoliberal gepamperten Kapitalismus nicht möglich.

Dass sich die Verunsicherung über die zunehmende Prekarisierung von Arbeit und Lebenschancen, die kulturelle Irritation über politisch nicht zu steuernde oder nicht gesteuerte Veränderungen ihre Wege in die Öffentlichkeit sucht, sollte niemanden wundern. Dass das viel zu oft in Gefolgschaft für rechte Parolen und Ideologien mündet, ist in jedem individuellen Fall unverzeihlich. Aber es wird nicht ausbleiben, solange glaubhafte Alternativen im demokratischen Spektrum Mangelware sind. Ohne sie, ist zu befürchten, bleibt „Demokratie verteidigen“ ein unerfüllter Wunsch.

QOSHE - Leere Worte helfen der Demokratie nicht - Stephan Hebel
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Leere Worte helfen der Demokratie nicht

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16.01.2024

Stand: 16.01.2024, 16:39 Uhr

Von: Stephan Hebel

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Wer die Demokratie verteidigen will, muss erkennen: Sie wird nicht nur von rechts unter Druck gesetzt, sondern auch durch ein als alternativlos verkauftes Wirtschaftssystem.

So etwas hören wir selten in diesen Zeiten: „Es ist so hoffnungsvoll.“ Der Satz stammt von Luisa Neubauer, der bekanntesten Aktivistin von Fridays for Future in Deutschland. Sie hat ihn am Sonntagnachmittag auf „X“ gepostet, als tausende Menschen, nach ihren Angaben 25 000, sich am Brandenburger Tor in Berlin versammelt hatten. Das Motto der Demonstration, zu der die „Fridays“ kurzfristig aufgerufen hatten, war denkbar einfach: „Demokratie verteidigen“.

Ja, es ist ein Hoffnungszeichen, wenn Zigtausende in Berlin und anderen Städten spontan auf die Straße gehen „für eine wehrhafte Demokratie, gegen den Faschismus“, wie Luisa Neubauer schrieb. Es macht Mut, dass so viele erschrecken, wenn bekannt wird, wie in den braunen Biotopen des Rechtsextremismus und seiner Partei, der AfD, die Fantasien von gewaltsamer Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile blühen. Dieser Protest, so dringend notwendig er ist, kann allerdings nur ein Anfang sein. Die Demokratie zu verteidigen, wird nur gelingen, wenn Demokratinnen und Demokraten sich einer zusätzlichen Anstrengung unterziehen: Sie müssen sich auch fragen, wo der Zustand dieser Demokratie denjenigen in die Hände spielt, die sie verachten.

Das ist, zugegeben, ein schwieriges Thema. Wer die Ursachen für den wachsenden Einfluss der extremen Rechten zu verstehen versucht, gerät schnell in Verdacht, für die AfD und die sie Wählenden Verständnis zu haben. Aber darum geht es nicht. Es stimmt ja, dass sich die Wahl einer derart menschenverachtenden Partei mit Unzufriedenheit,........

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